Camino Francés – über das Wie und Warum

… oder: Tag 0 – 09. Oktober 2018 – Anreise nach Saint-Jean-Pied-de-Port

Der erste Stempel in meinem Pilgerpass

Auf dem Weg nach Saint-Jean-Pied-de-Port. Jetzt ist es soweit, ich hatte mir das schon lange einmal vorgenommen – den Jakobsweg zu laufen*. Nicht, weil ich in irgendeiner Weise gläubig wäre. Ich kann mich mit dem Gedanken anfreunden, dass es irgendwie, irgendwo, irgendetwas gibt, das ein Auge auf das Universum hat. Aber wozu es dazu einer Kirche bedarf, erschließt sich mir nicht. Mich hat vielmehr das Erleben, das zu sich selbst Finden, vielleicht auch ein gewisses Abenteuer gereizt. Aber “Jakobsweg” war eher etwas Abstraktes, dass ich irgendwo im Hinterkopf abgelegt hatte. Ich gebe gerne zu, dass Kerkelings Buch auch seinen Teil dazu beigetragen hat, dass sich das Thema zu einem “klingt cool” entwickelt hat. Da war ich aber noch weit entfernt von “will ich auch!”. Jedenfalls bin ich jetzt ein Pilger. Allerdings würde ich mich selbst eher als „Langstreckenwanderer“ bezeichnen, trotz dass ich natürlich die obligatorische Jakobsmuschel am Rucksack trage.

Aber warum mache ich das gerade JETZT? Meine aktuelle Lebenssituation – vom Job genervt und hingeschmissen, gesundheitlich nicht voll auf der Höhe, angekotzt von so ziemlich allem und jedem, nicht so recht wissend, wo es hingehen soll – macht es möglich, mich einige Wochen am Stück auszuklinken. Im Nachhinein bin ich mir gar nicht mehr sicher, ob ich den Entschluss, den Jakobsweg zu laufen noch am Tag meiner Kündigung gefasst habe oder doch erst ein, zwei Tage später. Ich weiß aber noch genau, dass ich in dem Moment genau wusste: DAS ist es! Einfach nur laufen. Niemandem Rechenschaft ablegen zu müssen. Mit mir und meinen Gedanken alleine zu sein. Ich möchte herausfinden, wo ich herkomme und wohin ich eigentlich will. Will unter Menschen sein, die nicht wissen, wie verkorkst ich eigentlich bin.

Ich habe mir selbst die Vorgabe gemacht, dass ich mir Zeit nehme, einen neuen Job zu suchen. Nichts zu überstürzen. Vor allem, da ich wieder zurück in heimatliche Gefilde möchte, also irgendwo in das Dreieck Köln – Aachen – Düsseldorf. Wieder näher bei meiner Familie und alten Freunden sein. Ein halbes Jahr, so mein grober Rahmen. Da passt ein Camino Francés also sehr gut rein. Die nette Mitarbeiterin der Arbeitsagentur – ich muss als Arbeitssuchender bzw. Arbeitsloser (das erste Mal in meinem Leben, echt ein komisches Gefühl…) ja regelmäßig Termine wahrnehmen und mich aktiv um eine neue Arbeitsstelle bemühen – spielt Gottseidank mit. Einen Löwenanteil hat auch meine Hausärztin, die mir nicht nur nicht abgeraten hat, sondern aufgrund meiner – zu großen Teilen Stress bedingten – Zipperleinchen sogar hellauf begeistert war, als ich das Thema angeschnitten habe.

Aber ob es das Richtige ist? Das Richtige für mich ist? Das Richtige für mich in diesem Moment ist? Keine Ahnung. Ob ich es bis Santiago de Compostela schaffe? Keine Ahnung. Ehrlich gesagt, ich habe ein wenig Angst loszulaufen. Noch mehr habe ich Angst, zu „versagen“, weil ich aus welchen Gründen auch immer abbreche. Aber am allermeisten habe ich Angst davor, in Santiago anzukommen und vom Weg nichts mitzunehmen. Dort anzukommen und mich zu fragen „…und nun? Das war’s jetzt?“ Genauso schlau zu sein, wie zuvor. Aber wenn ich gar nicht erst starte, werde ich es nie erfahren. Von daher…

Abgesehen von meinen Eltern habe ich niemandem von meinem Vorhaben erzählt. Ein oder zwei Leute wissen zwar noch, dass ich länger nicht zu Hause bin, aber den Grund kennen sie nicht. Ich habe genug mit mir selbst zu tun, da wollte ich mir jegliche Diskussionen über das Wie und Warum ersparen. Auch an Meinungen und gut gemeinten Ratschlägen bin ich nicht interessiert. Wenn es nicht sinnvoll wäre, dass zumindest irgendjemand weiß, wo ich bin und sich im Fall, dass ich tot im Acker liege (Gott bewahre!) kümmern kann, hätte ich auch meinen Eltern nichts gesagt.

Am ersten Tag steht gleich die Königsetappe an, die Überquerung der Pyrenäen. Gut 1.200 Höhenmeter, das ist echt ein ordentliches Brett. Ich will früh losgehen und es langsam angehen lassen. Immerhin muss ich mit meiner überschaubaren Kondition, meiner umso ordentlicheren Plauze meinen wahrscheinlich viel zu schweren Rucksack den Berg hochwuchten. Trotz aller Ratgeber und obwohl ich aus meiner Sicht nur das Nötigste eingepackt habe, kommt das gute Stück auch ohne gefüllte Wasserflaschen auf etwas über 12 kg.

Apropos Ratgeber – ich bin jetzt nicht unbedingt der superspontane Typ, daher habe ich im Internet natürlich einige Reiseberichte, Tipps, Foren, Blogs usw. studiert. Man will ja schließlich wissen, worauf man sich einlässt, da kann ich einfach nicht anders. Immerhin habe ich mich trotz manchem Horrorberichts nicht abhalten lassen und werde auch nur von Tag zu Tag schauen, wie es läuft. Planen kann ich ohnehin nicht wirklich, wenn ich nicht weiß, wie weit ich es am Tag schaffe. Der einzige Termin, an den ich mich halten muss, ist der 19. November, dann muss ich wieder daheim sein und mich mit der Arbeitsagentur auseinandersetzen, wie es beruflich bei mir weitergeht. Das sind genau 6 Wochen – Zeit genug, um einigermaßen entspannt und flexibel unterwegs zu sein und auch die eine oder andere Pause einzulegen. Hoffe ich jedenfalls.

Die Anreise war eigentlich wirklich angenehm. Um 4:30 Uhr nach einer kurzen Nacht mit dem Zug über Paris und Bayonne nach Saint Jean. 14 Stunden, die Hälfte davon habe ich einfach nur vor mich hingedöst. Aber mir tut der Hintern weh, bei den unbequemen Sitzen geben sich die deutsche und die französische Bahn nicht viel. Da der Zug nach Saint Jean ausgefallen ist, gab es von Bayonne aus Schienenersatzverkehr bis nach Saint Jean. Das letzte Stück ging es also bequem im Reisebus von Dorf zu Dorf über kurvige Landstraßen. Wirklich schön hier, die Gegend macht Lust auf mehr. Hat aber etwas gedauert, wir waren dann erst um halb zehn in Saint Jean.

Das Wetter verspricht zum Start ganz passabel zu werden. Nicht zu warm oder zu kalt, ein bisschen Sonne, kein Regen. Prima Wanderwetter, gutes Omen für den Start.

Morgen früh geht es als erstes ins Pilgerbüro. Das wichtigste von allem: den Stempel für den Pilgerpass abholen. ein aktueller Wetterbericht wäre sicherlich auch nicht schlecht. Eigentlich möchte ich ja alleine gehen, zumindest etappenweise. Aber gerade für die Bergetappe wäre ein bisschen Unterhaltung sicher nicht verkehrt. Vielleicht ergibt sich ja heute Abend etwas oder morgen früh.

Aber ich kann nur sagen: Willkommen in Frankreich! Superschöne, urige Herberge und zur Begrüßung gab es erst einmal Wein, Brot und Käse. Top! Die Herberge, eigentlich fast schon eine Pension, hatte ich schon vor einiger Zeit reserviert. Eben weil ich nicht direkt bei der Ankunft im dunklen durch den Ort irren und eine Unterkunft suchen wollte. Hauptgewinn!


Noch eine generelle Anmerkung vorab:
Vieles von dem, was mir während der folgenden knapp 40 Tage durch den Kopf ging, habe ich nicht aufgeschrieben. Nicht einmal für mich selbst. Das sind alles sehr persönliche Dinge, von denen ich glaube, ich muss sie mit mir ganz alleine ausmachen. Daher ist der eine oder andere Bericht vielleicht ein wenig knapp oder unpersönlich geraten.

*: in dem Fall den Camino Francés. Ich weiß, dass es viele verschiedene Jakobswege gibt.

Ein Gedanke zu “Camino Francés – über das Wie und Warum

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