Camino Francés Tag 1 – Über die Pyrenäen

10. Oktober 2018 – Saint-Jean-Pied-de-Port – Roncesvalles (26,6 km)

Das war mit weitem Abstand das anstrengendste, was ich jemals gemacht habe! Unfassbar mühsam, aber ich bin mit ein bisschen Schummelei gut – und vor allem im Hellen, gerade noch so – in Roncesvalles angekommen. Bis Huntto ging es einigermaßen, nach Orisson war es eine Quälerei und nach drei Vierteln des Aufstiegs… Als es beim Anstieg irgendwo im Nirgendwo wie aus Eimern zu schütten begann und dazu auch noch Sturmböen kamen, war ich schon kurz davor zu sagen „So, genug jetzt!“. Total fertig und frustriert habe ich mich an den Straßenrand gesetzt und habe wirklich überlegt, was ich jetzt machen soll. Aber just in dem Moment kam ein Auto angerauscht – und ich habe kurzerhand den Daumen rausgehalten. Tja, hat geklappt! Eine nette amerikanische Familie hat mich bis zu dem Punkt mitgenommen, an dem sich der Weg von der Straße trennt, 3 km gespart. Ohne diese kleine Aufstiegshilfe weiß ich nicht, ob ich es überhaupt geschafft hätte. Die kleine moralische Aufbauhilfe durch die Unterhaltung im Auto und die Pause durch die Fahrt haben mir im Grunde überhaupt erst den Willen gegeben, weiterzugehen. Was die Steigung angeht, lag das Schlimmste ja schon hinter mir. Nach einer vernünftigen Pause hätte ich das bestimmt auch irgendwie alleine geschafft, es waren vielleicht auch gerade mal drei Kilometer. Aber meine Motivation war in dem Moment hart an der Grenze zum negativen Bereich. Dass die ganze Truppe mich dann spontan noch zu Fuß bis zur französisch-spanischen Grenze begleitet hat – immerhin war es dann wieder trocken – war der Wahnsinn. Danach ging es zwar teilweise noch weiter ordentlich bergauf und ich werde ganz sicher nicht behaupten, dass das dann ein Klacks gewesen wäre, aber es lief sich für mich ab da deutlich besser.

Los ging es heute morgen zusammen mit Andreas aus München und Meike aus Linz/Österreich. Die beiden habe ich in der Herberge beim Abendessen bzw. Frühstück kennen gelernt. Erstmal sind wir gemeinsam ins Pilgerbüro und haben uns den ersten Stempel für unsere Pilgerpässe abgeholt. Das wird in den kommenden Wochen mein regelmäßiges Ritual werden, da ich am Ende in Santiago ja auch meine gelaufene Strecke für die Compostela nachweisen will bzw. muss. Die beiden waren dann aber recht zügig unterwegs und ich konnte nicht mithalten, habe sie hinter Huntto aus den Augen verloren. Aber die treffe ich bestimmt nochmal wieder, es gibt ja hier in Roncesvalles nur die eine Herberge.

Mein Frühstück ist mir schon kurz nach dem Start zum Verhängnis geworden. Zwar hat sich die Hausherrin meiner Unterkunft, der „Gite de la Porte Saint Jacques“, nicht lumpen lassen und hat Käse, frisches Brot, selbstgebackenen Kuchen, Obstsalat, Saft und wirklich guten Kaffee aufgetischt. Aber leider lag mir das, obwohl ich wirklich nicht viel gegessen habe, wie ein Klotz im Magen und ich hatte zeitweise wirklich zu kämpfen.

Aus Saint-Jean heraus fängt der Weg noch verhältnismäßig harmlos an. Aber nach dem ersten Kilometer wird es dann wirklich sehr schnell sehr knackig. Ich bin ordentlich am Pumpen und muss immer wieder mal stehen bleiben, um wieder zu Atem zu kommen – und um mein Frühstück daran zu hindern, wieder das Tageslicht zu erblicken. Leider bin ich so mit mir selbst beschäftigt, dass ich kaum einen Blick für die sagenhafte Landschaft habe.

In Orisson war dann Mittagspause angesagt. Zwar hatte die Herberge geschlossen, aber man kann auch so wunderbar draußen in der Sonne auf der Mauer sitzen. Dabei habe ich Roberta aus Triest und Michael aus München getroffen. Roberta war nicht viel schneller unterwegs, als ich. Sie habe ich leider auch aus den Augen verloren. Ich hoffe, sie hat es heil durch den Regen geschafft. Aber sie hatte eine so positive Einstellung, sie packt das schon irgendwie. Michael hat mit hochrotem Kopf erstmal nur seinen Rucksack bei mir abgestellt und ist wieder ein Stück zurück gelaufen, weil er bei seiner letzten Pause seine Wasserflasche hat stehen lassen. Bei allem anderen hätte ich wahrscheinlich gesagt „scheiß drauf“ aber ohne Wasser kann man den Rest der Strecke vergessen. Wir sind zwar nach unserer – ausgiebigen – Pause alle drei gemeinsam los, aber beide haben mich irgendwann abgehängt.

Je höher man kommt, desto „weiter“ wird die Landschaft. Bäume gibt es bald gar keine mehr und auch Sträucher werden rar. Trotzdem grasen hier oben Schafe und Pferde. Ich habe vorher noch nie ein Pferd mit Glocke gesehen. Aber die laufen hier halt teilweise frei rum und es reicht scheinbar, dass nur der Leithengst „geortet“ werden kann. Der Rest der Truppe ist dann nicht weit weg.

Nachdem ich mich von meinen amerikanischen Begleitern verabschiedet hatte, ging es ein ganzes Stück weit am Hang entlang bis zur Rolandsquelle, wo ich endlich meine Wasservorräte auffüllen konnte. Irgendwo auf dem Stück hat mich Michael wieder eingeholt (im Auto bin ich an ihm vorbei gedüst), so dass wir von hier aus gemeinsam liefen. In Michael habe ich einen Leidensgenossen, er ist genauso schnell bzw. langsam unterwegs wie ich. Auf dem Weg nach Roncesvalles konnten wir uns prima gegenseitig über den Weg und die nicht enden wollenden Steigungen aufregen. Er ist ein bisschen naiv, aber ein netter Kerl. Sein Poncho ist mindestens zwei Nummern zu klein. Dass er auch noch versucht hat, ihn über den Rucksack zu ziehen, obwohl er dafür nicht gedacht ist, macht es nicht besser. Es sieht ein bisschen so aus, als hätte er ein übergroßes Lätzchen um. Dementsprechend ist er von Kopf bis Fuß nass. Er beschwert sich auch, dass sein Rucksack so unbequem sei – klar, er trägt ihn ja auch nur auf den Schultern. Ich helfe ihm also, die Gurte alle besser einzustellen. Das Ergebnis ist, dass er jetzt schneller unterwegs ist, als ich. Hmpf…

Irgendwann kurz hinter der spanisch-französischen Grenze steht man dann endlich auf dem Col de Bentarte mit seinen gut 1300 Metern. Aber bergab geht es deswegen noch lange nicht, denn der Col de Lepoeder ist noch einmal gut 100 Meter höher und bis dahin ist es noch ein Stück.

Irgendwo zwischen den beiden Gipfeln steht eine Wetterschutzhütte, das „Refugio Izandorre“ für Notfälle. Ein Dach über dem Kopf hatten Michael, eine Mitpilgerin aus Kolumbien und ich zu dem Zeitpunkt bitter nötig. Es hatte zwar bis hierher aufgehört, zu regnen, dafür war der Wind aber umso schneidender. Außerdem taten das Hinsetzen und das 5 Minuten Beine baumeln lassen auch echt gut. Normalerweise liegt hier auch Brennholz, um im Fall der Fälle heizen zu können. Der Geruch und der große Haufen Kohle zeugen davon, dass irgendwer davon ausgiebig Gebrauch gemacht hat. Ein Feuerchen wäre jetzt nicht das Schlechteste…

Auf der spanischen Seite der Pyrenäen finden sich überall Bunker und Schützenstände. Franco muss eine Heidenangst gehabt haben, dass die Franzosen bei ihm einfallen…

Als ich dann endlich, endlich auch den letzten Anstieg hinter mir hatte, stand ich dann vor der Wahl, wie ich runter nach Roncesvalles komme – kürzer aber steil oder länger aber weniger steil? Da meine Beine Pudding waren, habe ich mir die steile Variante nun echt nicht mehr zugetraut. Ich habe definitiv nicht vor, mir die Haxen zu brechen. Der andere Weg war schon schlimm genug. Vor allem, da man von oben eine tolle Aussicht auf das Kloster hat, man aber ganz genau weiß, dass man noch ziemlich lange bis dahin laufen muss… – und so langsam wurden auch die Schatten länger, so dass ich echt nicht mehr trödeln durfte.

Ich bin also in Serpentinen runter zum Ibañeta-Pass mit seinen ca. 1000 Metern. Ehrlich gesagt habe ich die Kapelle dort zwar irgendwie wahrgenommen, aber das hier der eigentliche Pass ist, habe ich in meinem Tunnel gar nicht realisiert. Von dort ist es allerdings nach wie vor ein gutes Stückchen bis zum Kloster. Also Zähne zusammenbeißen und noch eine Stunde durchhalten!

Ich kann gar nicht sagen, wie froh und erleichtert ich war, als ich endlich an der Pforte angekommen bin. Uff!

Eines der wenigen Dinge, die mir vor Beginn wirklich Kopfzerbrechen bereitet haben, war die Pyrenäenüberquerung. Ich meine jetzt mal ernsthaft: Ich? Über einen Bergpass? Mit Rucksack? Wo ich doch an schlechten Tagen schon schnaufe, wenn ich die Wäsche aus dem Keller holen und 3 Etagen Treppen steigen muss? Dementsprechend wollte ich eigentlich in Orisson den ersten Tag beenden und am nächsten Tag „gemütlich“ weiterziehen. Tja, leider hat die Herberge wegen Renovierungsarbeiten dieses Jahr ihre Tore für den Winter schon früher geschlossen. Die alternative Strecke über Valcarlos nach Roncesvalles kam für mich von vornherein aber auch nicht in Frage, wenn schon, denn schon. Also Augen zu und durch, über die Route Napoléon! Offensichtlich hat es ja geklappt – und ich muss sagen, dass ich selbst ein bisschen überrascht von mir bin. Die Gesellschaft, die ich unterwegs hatte, hat aber auf jeden Fall ein gutes Stück dazu beigetragen.

Michael hat im Schlafsaal prompt das Bett unter mir ergattert, obwohl er bestimmt eine halbe Stunde vor mir angekommen ist. Auf den letzten Metern des Anstiegs musste ich abreißen lassen, ich war einfach fix und alle. So alle, dass ich nach dem Duschen feststellen durfte, dass mein Handtuch noch auf meinem Bett liegt… Nachdem ich mich dann doch irgendwie trockengelegt hatte, sind Michael und ich noch zusammen Abendessen gegangen, aber Appetit hatte ich nicht wirklich. So richtig lecker war es aber auch nicht. Wie sagt man so schön? Der Hunger treibt’s rein. Außerdem muss man ja irgendwie wieder ein bisschen Energie tanken.

Moral des Tages:
„Hinter der nächsten Kurve geht es bestimmt bergab. Und wenn nicht, gibt es immer noch eine weitere nächste Kurve.“

Roberta aus Triest

Was habe ich mir Gedanken gemacht – aber das kann ich jetzt größtenteils beantworten: Schaffe ich das? Ja! Laufe ich mir Blasen? Bisher nur eine kleine, die aber weder wehtut noch stört. Halten meine Knie? Ja, da schmerzt bisher nichts, das nicht vorher auch schon irgendwie gezwickt hätte. Ist mein Poncho ausreichend? Definitiv, das Teil ist super! Ist mein Rucksack zu schwer? Leider ja, aber ich weiß immer noch nicht, was ich Großartiges hätte weglassen können. Ist Pilgern etwas für mich? So einen Tag wie heute brauche ich ganz sicher nicht noch einmal, auch wenn ich geahnt habe, was auf mich zukommt. Aber die Frage ist nach nur einem Tag unmöglich zu beantworten. Auf jeden Fall bin ich fest gewillt, das hier durchzuziehen!

Außer der kleinen Blase vorne am großen Zeh durch den doch ordentlichen Abstieg, habe ich an den Füßen nichts. Habe mich vorab überzeugen lassen, die Füße mit Hirschtalg-Creme einzuschmieren, im ersten Moment ein komisches Gefühl, so als ob man tierische Schweißfüße hätte, aber es hilft ja offensichtlich. Aber meine Waden tun weh. Abgesehen davon, dass das heute echt Hardcore war, bin ich so lange Strecken, zumal mit Gepäck auf dem Rücken, echt nicht mehr gewohnt. Ich hätte vielleicht doch vorher Mal trainieren sollen… Ansonsten ist alles tip-top. Ich befürchte allerdings, dass ich mich morgen früh gar nicht bewegen kann.

Warum muss der Schlafsaal im 2. Stock sein? Stufen! …und dann muss ich auch noch ins obere Etagenbett kraxeln…

Ein Gedanke zu “Camino Francés Tag 1 – Über die Pyrenäen

  1. Audrey im Wanderland – Bloggerin bei Audrey im Wanderland, meinem Fernwanderblog, auf dem ich fast 2.500 erwanderte Kilometer Etappe für Etappe zum Leben erwecke. Nach dem „Prinzip Lindenstraßen“ gibt es jeden Sonntag einen neuen Tagesbericht zum Nachlesen.
    Audrey im Wanderland

    In Roncesvalles anzukommen, ist mit Sicherheit die größte Erleichterung, die man sich vorstellen kann.
    Mir ging es da ja ähnlich wie Dir – all die Sorgen, dass man es nicht packt und die vielen Möglichkeiten, was alles schief gehen kann. Also gut zu wissen, dass es dir gelungen ist 🙂
    Viele Grüße,
    Audrey

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