29. Oktober 2018 – Carrión de los Condes – Calzadilla de la Cueza (18,0 km)
Ich bin nur die angestrebten 18 km gelaufen. Abgesehen davon, dass ich mir jetzt auch am rechten Fuß, an der Ferse, eine Blase gelaufen habe, war der Wind wieder eiskalt. Strahlender Sonnenschein, aber ständig dieser scharfe Wind von links. Heute hätte ich mir gewünscht, mir meinen Hut am Kopf festtackern zu können. Die Bäume, die am Wegesrand stehen, sind noch zu klein, um im Sommer die Sonne davon abzuhalten, die Pilger zu grillen und erst recht, um jetzt, hier und heute den Wind abzuhalten. Außerdem stehen sie auf der falschen Seite! Was bringt es, wenn die Bäume rechts stehen, der Wind aber von links kommt! Hmpf…
Bis obenhin mit allem eingepackt, was der Rucksack hergibt, war es zwar ok, aber auch nicht viel mehr. Dass es auf der ganzen Strecke nur an zwei kleinen Rastplätzen die Möglichkeit gibt, mal 5 Minuten nicht im Wind zu stehen, geschenkt. Aber einen Kaffee – ach, was sage ich! Eine heiße Schokolade oder fast noch besser einen Glühwein zum Aufwärmen, DAS wäre es gewesen. In den wärmeren Monaten steht hier wohl mindestens an einer Stelle ein Food-Truck. Aber das Vögelchen ist über den Winter wohl in den Süden geflogen… Dazu diese nicht enden wollende kerzengerade Strecke. Man hat das Gefühl, überhaupt nicht voran zu kommen. In jede Richtung bis zum Horizont: Nichts! Kein Baum (außer den paar direkt am Weg natürlich), kein Haus, nada. Nur das weiß-bräunliche Band des Wegs vor und hinter einem gibt ein wenig Orientierung. Zwar war ich nur etwa 4 Stunden unterwegs, aber es kam mir deutlich länger vor. Im Sommer ist dieses Stück des Camino bestimmt absolut extrem.
Beim Mittagessen habe ich spontan beschlossen, nicht mehr die 6 km bis Ledigos zu laufen. In der Herberge gleich um die Ecke habe ich mir ein Bett gesucht und mich nach einer heißen Dusche, im Schlafsack eingemummelt, aufgewärmt und ein Stündchen entspannt vor mich hingedöst.

Beim Abendessen mit zwei Mädels aus Deutschland und Polen, einem Italiener, der aber jahrelang Gastarbeiter in D war und den es wieder in die Heimat gezogen hat und einem Schweden zusammen gegessen. Ich bin ja sowas von schlecht im Namen merken… Das war de facto das gesamte Team, dass sich hier in der Herberge für diese Nacht einquartiert hat. War ein angenehmer Abend aber wir waren alle geschafft und müde, so dass sich nicht wirklich ein vernünftiges Gespräch ergeben hat. Irgendwie hat jeder mehr oder weniger still sein Pilgermenü verspeist und wollte dann nur noch ins Bett.
Ich habe mir heute beim Laufen ein Hörbuch angehört, bzw. habe es ein paar Minuten lang versucht. Das wird wohl ein einmaliges Experiment bleiben. Ich hätte nicht gedacht, dass mich das so stark ablenkt. Wenn ich normalerweise wandere, höre ich eigentlich immer Musik oder ein Hörbuch. Aber hier, wo ich mich sehr viel mit mir selbst beschäftige, stört es mich. Es fiel mir dabei wirklich schwer, einen regelmäßigen Laufrhythmus beizubehalten. Da bleibe ich lieber bei meinen Ohrwürmern, teilweise mit selbst ausgedachtem Text. Hitparade Platz 1 heute: „Wenn der Wind bläst, mach die Tür zu“. Bitte nicht mehr wiederwählen. Könnte trotzdem ein Welthit werden. Wahrscheinlicher ist aber, dass ich einfach nur komplett bescheuert bin.
Auch sonst habe ich ganz, ganz schwieriges Kopfkino. Heute war ich mit meinen Gedanken nur sehr ungern alleine. Aber einen auf Peter Lustig (“Abschalten!”) machen, ist halt leichter gesagt, als getan. Manchmal kann ich mich selbst nicht leiden.
Was mich seit gestern total nervt ist, dass ich ständig das Gefühl habe, mein rechter Schuh säße zu locker. Aber wenn ich den noch fester binde, stirbt mir der Fuß ab.
Dadurch, dass ich heute nur so eine kurze Strecke geschafft habe, sind es jetzt ein paar Kilometer mehr bis Sahagún. Mein Büchlein meint 23 km, die Camino-App 21. So oder so schaffbar und mit einigen Dörfern zwischendurch, in denen es bestimmt die eine oder andere Möglichkeit gibt, einen heißen Kaffee zu trinken. Vielleicht bläst der Wind ja morgen auch nicht mehr so stark.
Heute ist der erste Tag, an dem ich kein einziges Foto geschossen habe, ich war zu sehr mit mir selbst beschäftigt…