09. November 2018 – Ruitelán – Triacastela (22,0 / 32,8 km)
Gestern Abend und heute Morgen mit Adriano und Joël aus Portugal, Sophia aus den USA und Hendrik aus Holland gegessen, gequatscht und gelacht. Das war wirklich eine sehr lustige Runde, war ein toller Abend. Die beiden Hospitaleros haben sich wirklich um uns bemüht und mit ihrer lustigen Art, einem hervorragenden Abendessen und reichlich Wein dafür gesorgt, dass es zumindest für mich einer der schönsten Abende auf dem Camino war. Seit den Unterhaltungen mit Tanja, Petra und Apu war das der erste Abend seit längerem, an dem es bei den Gesprächen auch bis ins Detail ging. Interessanterweise sind wir alle fünf aus ähnlichen Gründen auf dem Camino – wir alle versuchen bei einer beruflichen Auszeit zur Ruhe zu kommen und unser Leben neu zu ordnen. Wobei Sophia laut ihrer Erzählung “versucht” hat, ihren Job zu kündigen. Wie auch immer man sich das vorstellen darf. Die Jungs sind mit dem Rad unterwegs und wollen schon Sonntag in Santiago sein. Adriano und Joël sind tatsächlich den ätzenden Abstieg nach Ponferrada runtergefahren, anstatt die Radroute über die Straße zu nehmen. Ich könnte schwören, dass ich die beiden da sogar gesehen habe – kurz bevor der ganz schlimme Teil vorbei war, waren hinter mir zwei Radfahrer und ich dachte noch „Die müssten bekloppt sein!“. Der Einschätzung stimmten mir beide zu, aber hinterher ist man ja immer schlauer.
Geweckt wurden wir heute um 8 Uhr von „Ave Maria“, gefolgt von einer sehr coolen 80er-Jahre Playlist. Uns wurde von den beiden buddhistischen Hospitaleros Luis und Carlos gestern Abend sogar „verboten“ vor der Musik aufzustehen. Das, das ausgiebige Frühstück und dass wir uns alle ein bisschen verquatscht haben, hat dazu geführt, dass wir alle erst gegen 10 Uhr aufgebrochen sind. Joël hat von einem merkwürdigen Traum erzählt, in dem ihm eine weise Frau erscheinen ist, die ihm irgendetwas erzählt hat, an das er sich aber nicht mehr recht erinnern konnte. Jedenfalls war der Running Gag des Morgens, dass er bei jedem zweiten Satz unter die Nase gerieben bekam, er soll bloß auf die weise Frau hören.
Dazu kam – bei der Musik bot sich das einfach an – das “heitere Musikraten am Morgen”. Ich hätte mir die Songs gleich aufschreiben sollen. Leider weiß ich nur noch, dass auf jeden Fall Queen und die Beatles dabei waren.

Carlos hat mich mit seinem Auto hoch nach O Cebreiro gefahren. Ein absolut schrottreifer, mehr als 20 Jahre alter Ford Fiesta. Die Karre hat so über die Vorderräder geschoben, dass es mir in den Kurven angst und bange war. Die Aufhängung hat es wohl komplett hinter sich. Carlos hat dazu noch wie wild an der Lenkung kurbeln müssen, weil die Servolenkung auch hinüber war. Sein Kommentar dazu war nur ein lapidares „Ist kaputt.“ Wäre mir nie aufgefallen. Auf der ganzen Fahrt hat er auch nicht mehr als den 3. Gang entdeckt, armes Getriebe, armer Motor. Gekostet hat mich die Fahrt 20 €. Ganz schön happig für angeblich ach so antimaterialistische Buddhisten. Aber was beschwere ich mich? Das ist der Preis für meine Schummelei. Das und der Sturm, der mich hinter dem Alto do Poio erwischt hat.

Dass ich auch heute wieder ein gutes Stück weit im Regen laufen musste, geschenkt. Aber besonders hoch zum Alto do Poio war es wirklich ätzend, den steilen Weg im Regen und eiskalten Wind hoch zu stapfen. Wenigstens gibt es zur Belohnung, wenn man oben ankommt, eine Herberge, in der es ordentlichen Kaffee und wirklich leckere Empanadas gibt. Auch wieder sehr skurril – im feinsten Schietwetter laufen draußen vor der Türe die Hühner frei rum und drinnen erwartet einen ein Mondkalb von Hund. Irgendeine Art von Hütehund, ganz brav und ruhig. Triefauge und Sabberschnauze, da wurde ich natürlich prompt angeschleimt.
Endlich mal ein realistisches Pilgerdenkmal!
Aber kurz nachdem der finale Abstieg nach Triacastela begonnen hat, wurde aus dem bisschen Wind und dem feinen Nieselregen ein ordentlicher Sturm und der Himmel hat alles ausgeschüttet, was da war. Wenn der Sturm nur ein bisschen stärker geworden wäre, oder ich durch Wald hätte laufen müssen, hätte ich mir wohl spontan irgendwo eine Unterkunft besorgt. So ging es aber gerade noch und ich bin trocken (ok, ok, von den Knien bis zu den Knöcheln nass) in Triacastela angekommen. Aus der Ferne muss das bestimmt sehr merkwürdig ausgesehen haben – ein knallroter (Poncho!), flatternder Fleck, der sich langsam aber stetig bergab bewegt. Heute bin ich wirklich dankbar gewesen, dass der Weg asphaltiert war. Über Stock und Steine und durch Pfützen wäre das bestimmt kein Spaß geworden.
Laut meinem Pilgerführer erwartet einen für gewöhnlich in einem der kleinen Dörfer am Weg Carmen und backt für jeden Pfannkuchen. So einen hätte ich zur Stärkung wirklich gut gebrauchen können, aber das Regenwetter hat Carmen bestimmt auch nach drinnen vertrieben, schade.
Die Herberge meiner Wahl in Triacastela ist wieder ein Hauptgewinn, gemütlich und sauber mit netten Hospitaleros und eigener Bar. Der Schlafsaal hat einen Sternenhimmel! Im wahrsten Sinne des Wortes – im Dach sind lauter kleine, sternförmige Fensterchen eingebaut. Das Restaurant nebenan hat als Pilgermenu einen 1A Grillteller gezaubert. Der Laden bekommt einen persönlichen Michelin-Stern von mir! Das Wetter kann im Gegensatz dazu froh sein, keinen Eintrag ins Klassenbuch zu bekommen, denn auf dem Weg zum und vom Essen bin ich ordentlich nass geworden. Aber da bin ich ja auch selbst schuld, nur weil ich den Poncho nicht mit ins Restaurant nehmen wollte.

Weniger als 140 km noch. Bis Sonntag sollten es unter 100 sein, dann muss ich mir wohl so langsam Gedanken über die Rückreise machen. Finisterra werde ich nicht ansteuern, das passt leider nicht in meinen Zeitplan. Aber der Weg dahin ist ja relativ kurz, das kann man ja für eine Woche wandern irgendwann in der Zukunft im Hinterkopf behalten.