Camino Francés Tag 37 – Finale, wohoooo

15. November 2018 – Pedrouzo – Santiago de Compostela (21,2 km)

Finaltag – und gleich zu Anfang eine Planänderung. Ich war schon um halb 6 Uhr wach und habe danach eigentlich nur noch gedöst, wenn überhaupt. Ab 7 Uhr war die Nacht dann sowieso vorbei, da dann das lustige Licht-Raschel-Tuschel-Spiel losging. Also bin ich auch aufgestanden, habe mich fertig gemacht und bin ohne Frühstück schon um Viertel vor 8 Uhr los. Dadurch hatte ich aber etwas, dass ich durch die vielen Pilger wahrscheinlich später am Morgen keinesfalls gehabt hätte: Ich war komplett allein unterwegs. Superschön durch den Wald und – zumindest bis ich an die Autobahn gekommen bin – richtig schön ruhig. Für den typischen Geruch der Eukalyptusbäume ist es aber offensichtlich die falsche Jahreszeit, schade. Das ausgefallene Frühstück habe ich dann unterwegs nachgeholt. Selbst am Flughafen, an dem der Weg sicherlich für eine halbe Stunde vorbeiführt, habe ich kein einziges Flugzeug gehört.

Der Monte de Gozo war ein kleiner Reinfall. Die Aussicht auf Santiago war an sich schon nicht der Hit, die Türme der Kathedrale konnte man allenfalls erahnen. Aber ansonsten war da nichts, nada, niente. Im Sommer gibt es da wohl eine Menge Restaurants, Bars, Bierbuden und Kioske, aber jetzt im Herbst ist alles geschlossen und verrammelt. Auf jeden Fall nicht das tolle „Must see“, das jeder Pilgerführer anpreist. Nicht mal einen Stempel für den Pilgerpass gab es. Aber ich habe Leandro ein letztes Mal getroffen, die Gelegenheit haben wir genutzt, um uns in Ruhe zu beglückwünschen und zu verabschieden, falls man sich an der Kathedrale nicht mehr trifft. Was dann leider auch der Fall war.

Vom Monte de Gozo aus ging es die letzten 5 km durch die Vororte von Santiago bis zur Kathedrale. Dass, egal wie lang eine Etappe war/ist, die letzten 5 Kilometer immer zäh wie Kaugummi sind, ist für mich schon fast normal. Aber heute wollten und wollten sie nicht vorbei gehen. Dabei hat weder geholfen, dass ich mich innerlich vehement gegen das Ankommen gewehrt habe, noch dass einiges der Strecke optisch nicht unbedingt ansprechend an Autobahn und Gewerbegebiet vorbei geht. Die letzten 500 Meter sind mir emotional dann ganz besonders schwergefallen. Auf dem Platz vor der Kathedrale, der Praza del Obradoiro angekommen, musste ich auch ein paar Tränen verdrücken. Ich kann gar nicht beschreiben, wie es mir in dem Moment und in den paar Minuten danach ging. Einerseits stolz und glücklich, dass ich es geschafft habe. Andererseits abgrundtief traurig, dass es vorbei ist. Erschöpft, müde, geistig völlig leer. Dazu kommt ein irgendwie komisches Gefühl, ab morgen nicht mehr laufen zu müssen. Ich will nicht, dass es vorbei ist!

Sehr schade, dass ich diese Momente nicht mit den Menschen, die ich auf dem Camino näher kennenlernen durfte, teilen konnte. Petra, Tanja, Leandro, Apu, … Sie sind entweder noch auf ihrem Weg oder schon vor mir in Santiago angekommen. So hatte ich dann die Möglichkeit, dies nur für mich ganz allein zu genießen. Trotzdem ist dies einer der Momente in meinem Leben gewesen, den ich sehr gerne mit jemand anderem geteilt hätte. Immerhin waren einige der Koreaner da, die ich unterwegs ja immer mal wieder getroffen habe, zu denen ich aber, Sprachbarriere sei Dank – keinen richtigen Draht hatte. Auf jeden Fall hat es mich tief bewegt und ich weiß ganz genau, dass ich mich daran den Rest meines Lebens gerne, aber auch wehmütig zurückerinnern werde.

Auch wenn auf der Praza nicht allzu viel los war, ich brauchte irgendwann einfach ein bisschen Ruhe. Also habe ich mich in die kleine Kirche San Fructuoso verkrümelt, gleich um die Ecke. Ich war ganz alleine dort und konnte ein bisschen zur Ruhe kommen und den Camino sacken lassen. Warum weiß ich gar nicht genau, aber ich habe dann sogar noch eine Kerze angezündet, irgendwie hatte ich das Gefühl, ich müsste das tun. Vor allem war es eine richtige Kerze, nicht diese elektrischen Teelichter, bei denen eins automatisch angeht, sobald man eine passende Münze einwirft. Ansonsten hätte ich es wohl bleiben lassen.

Mit ein paar Tagen mehr Zeit wäre ich gerne noch nach Finisterra und/oder Muxía weiter gepilgert. Aber was mein Gefühlswirrwarr angeht glaube ich nicht, dass das etwas geändert hätte. Es ist schon gut so, wie es ist – die Ankunft an der beeindruckenden Kathedrale, das Grab des Apostels besuchen, die Büste von Jakobus umarmen und die Compostela abholen. Im Anschluss den Tag morgen und die Rückreise dann dazu nutzen, alles ganz in Ruhe ausklingen zu lassen und zu genießen.

Ich habe es geschafft. 800 km Strecke, fast 14.000 Höhenmeter, Regen, Schnee, Sturm. …und ich bin angekommen, in Santiago de Compostela.

Im Pilgerbüro herrschte auch nicht das strenge Regiment, das oft beschrieben wird. Es gab keine strengen Nachfragen ob und wie man gepilgert ist bzw. ob man vielleicht einzelne Abschnitte ausgelassen oder Etappen übersprungen hat. Wartezeit gab es auch nicht – als ich reinging, kamen mir gerade mal zwei Pilger ganz entspannt und die Sicherheitsfachkraft hat sicherlich auch schon stressigere Zeiten erlebt. Ich bin direkt drangekommen und konnte mir dabei sogar den Schalter aussuchen. Viel einfacher wäre es wohl nicht gegangen. Die sehr nette Dame hinter dem Tresen meinte, ich sähe aber sehr entspannt aus, trotz der langen Wanderung. Ich hätte sie auch nett gefunden, wenn sie das nicht gesagt hätte, aber danke für das Kompliment. Auch wenn ich mich in dem Moment alles andere als entspannt gefühlt habe, nur reichlich fertig. Körperlich wie geistig. Aber entspannt im Sinne von wenig gestresst? Definitiv! Wahrscheinlich hat die Tatsache, dass ich geduscht und rasiert im Pilgerbüro aufgeschlagen bin, mein Gesamtbild zusätzlich auch noch ein wenig aufgehübscht.

2 Gedanken zu “Camino Francés Tag 37 – Finale, wohoooo

  1. Audrey im Wanderland – Bloggerin bei Audrey im Wanderland, meinem Fernwanderblog, auf dem ich fast 2.500 erwanderte Kilometer Etappe für Etappe zum Leben erwecke. Nach dem „Prinzip Lindenstraßen“ gibt es jeden Sonntag einen neuen Tagesbericht zum Nachlesen.
    Audrey im Wanderland

    Oh, wie ich dieses Gefühlswirrwarr kenne. Obwohl ich nicht allein war, fühlte ich mich bei der Ankunft mutterseelenallein. Aber es verging. Und dann war da nur noch dieser Stolz.
    Jacobus habe ich übrigens bis heute noch nie umarmt. Toll dass du es gepackt hast – rückwirkend noch herzlichen Glückwunsch 🎉

    1. Eigentlich ist das ja auch mehr Folklore, als alles andere. Da ich aber auch das riesen Glück hatte, fast alleine in der Kathedrale zu sein, als ich sie besichtigt habe, konnte ich einfach nicht widerstehen 😊

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