Via Mosana Tag 2 – Zu Fuß auf dem Radweg

04.08.2019 – Clermont-sur-Berwinne – Lüttich (28 km)

Ich habe super gut geschlafen! Irgendwann gestern Abend bin ich tatsächlich mitten beim Schreiben einer E-Mail eingeschlafen und wurde heute früh erst von meinem Wecker geweckt. Bis ich so richtig wach bin, braucht es aber ein paar Minuten. Dank der fehlenden Dusche fühle ich mich am ganzen Körper immer noch ein wenig klebrig, da fällt die Morgentoilette ein wenig ausgiebiger aus. Unterm Strich fühle ich mich aber wirklich gut und erholt.

In meinem Zimmer muss eine Bombe explodiert sein, anders kann ich es mir jedenfalls nicht erklären, warum der komplette Inhalt meines Rucksacks im Raum verteilt ist. Irgendwie neige ich dazu, mich auszubreiten, wenn ich den Platz dazu habe… Aber wenigstens wird der Rucksack auf die Weise wieder vernünftig gepackt. Das dauert heute allerdings ein paar Minuten, denn die Routine, was, wo und wie am besten alles in den Rucksack kommt, und dann auch noch so, dass wichtige Dinge leicht zu erreichen sind, stellt sich bei mir immer erst nach ein paar Tagen ein.

Beim Blick aus dem Fenster muss ich dann erst einmal feststellen, dass der Wetterbericht mich glatt angelogen hat! Angekündigt waren 25°C und nur leichte Bewölkung, die Realität schaut mit wolkenverhangenem Himmel, Regen und maximal 15°C ein bisschen anders aus. 0% Regenwahrscheinlichkeit, von wegen! Es ist richtig uselig draußen. Das Regenradar meiner Wetter-App auf dem Handy ist nach wie vor der Meinung, es würde jetzt nicht und auch den Rest des Tages nicht regnen. Das da draußen scheint also belgischer Stealth-Niederschlag zu sein. An sich ist Regen ja nun mal gar kein Problem, aber naiv wie ich bin, habe ich aufgrund des Wetterberichts meinen Poncho zu Hause gelassen und weil es gut warm bleiben sollte, auch keine Jacke, sondern nur ein langärmliges Shirt für abends dabei. Also eher unschön, aber nun gut. Für einen Tag wird es mich jetzt nicht umbringen, nass zu werden und ich baue darauf, dass sich das Wetter merkt, was es falsch macht und sich der Meinung der Meteorologen angleicht.

Die Laune lasse ich mir davon jedenfalls nicht vermiesen, sondern räume hinter mir auf, ziehe das Bett ab und gehe bewusst in die falsche Richtung los – denn zum Frühstück geht es zunächst zu Renée und Jacques nach Hause und das liegt ein kurzes Stück abseits des Jakobsweges. Ich beeile mich ein bisschen, und nutze eine kurze Regenpause aus, so dass ich einigermaßen trocken ankomme.

An der Tür werde ich von Renée schon mit einem gut gelaunten bonjour empfangen. Zum Frühstück im Wintergarten gesellt sich dann auch Jacques dazu. Da er in seiner Rolle als Übersetzer total aufgeht, nimmt die Unterhaltung schnell fahrt auf. Dass das Frühstück lecker und reichhaltig und der Kaffee dazu noch gut ist, hebt meine Stimmung zusehends. Draußen allerdings hat der Himmel seine Schleusen noch ein Stückchen weiter geöffnet.

Jacques ist 81 Jahre alt und fit wie ein Turnschuh, Renée ist einige Jahre Jünger. So möchte ich auch altern, die beiden sind ein tolles Paar. Er war früher als Soldat in Düren stationiert, daher spricht er wirklich respektables Deutsch, wenn auch mit einem nicht definierbaren Akzent. Klingt ein bisschen nach einem Mix aus Luxemburgisch und Niederländisch, komischerweise aber kein Französisch. Renée ist in der Gemeinde aktiv und als mehrere Pfarreien im Umkreis zusammengelegt wurden, kam die Idee auf, doch im alten Pfarrheim eine Pilgerunterkunft einzurichten. Inzwischen verirren sich etwa 50 Pilger pro Jahr hierher, meistens Bycigrinos aus den Niederlanden. Jacques erzählt, dass viele davon stöhnen, hier gäbe es ja so viele Berge und es sei deswegen sehr anstrengend. Sind halt andere Maßstäbe, wenn die höchste Erhebung im Umkreis von 20 Kilometern die Windmühle in Nachbarort ist. 😂😇

Auch wenn ich noch ganz lange mit den beiden beim Kaffee sitzen und mich unterhalten könnte, will ich doch irgendwann los. Renée lässt mich aber nicht weg, ohne dass ich in Ihr Gästebuch geschrieben habe. Da ich ja keinen Pilgerpass dabei habe, bekomme ich einen Stempel auf ein Blatt Papier gedrückt, denn „das gehört als Erinnerung je schließlich dazu!“. On top gibt es noch ein Madeleine mit Zuckerguss als Leckerli für unterwegs. Ich kann den Aufenthalt bei den beiden trotz der fehlender Dusche uneingeschränkt empfehlen!

Kaum habe ich meinen Rucksack geschultert und stehe zum Abschied an der Haustüre, hört es auf zu regnen. So muss das sein! Dafür ist es jetzt sehr schwül, da das Wasser auf den immer noch warmen Straßen schnell verdampft. Aber nach ein paar Minuten merke ich da nichts mehr von, ich genieße viel lieber den typischen Geruch nach einem Sommerregen.

Der Weg bis nach Lüttich bietet auch heute keinerlei Herausforderungen. Dementsprechend geht es von Clermont aus ein kurzes Stück bergab nach Thimister, dem Hauptort (korrekt heißt es nämlich eigentlich Thimister-Clermont). Ab hier folgt die Via Mosana für einige Kilometer dem RAVeL Ligne 38. RAVeL bedeutet Réseau Autonome de Voies Lentes, also „unabhängiges Netz langsamer Wege“, dass für Fußgänger, Radfahrer und Reiter in ganz Belgien angelegt wurde. Die Linie 38 wurde auf einem alten Bahndamm eingerichtet, es gibt also nur sanftes Gefälle bzw. Steigungen und großzügige Kurven. Vielleicht war ich ja in einem früheren Leben Güterzug, denn steil bergauf mag ich ja auch nicht. 🤪

Nach ungefähr einer Stunde komme ich am Fort Battice vorbei, einer Festungsanlage aus dem Zweiten Weltkrieg. Das Thema ist also auch heute wieder sehr präsent. Von außen sieht man nicht allzu viel davon, aber das ganze Gelände ist über 40 Hektar groß. Dennoch sind die Bunker und Geschützstellungen beeindruckend und gleichzeitig bedrückend.

Hinter dem Fort geht es immer weiter geradeaus auf dem RAVeL. Irgendwann überholen mich im Minutentakt ReiterInnen und Gespanne mit Turnierkutschen. Ganz in der Nähe steigt heute wohl ein Event, im Hintergrund höre ich ab und an auch Lautsprecherdurchsagen. Dass es ja für die Compostela auch „zählt“, wenn man den Jakobsweg zu Pferde hinter sich gebracht hat, ist ja bekannt, aber wie sieht das eigentlich mit Kutschfahrten aus? Wohl eher nicht, oder? Willkommen in der Kategorie „sinnlose Dinge, über die man beim Pilgern nachdenkt“.

Weil mich niemand mit seiner Kutsche mitgenommen hat – vielleicht hätte ich ja einfach mal fragen sollen? – , stiefele ich weiter die Autobahn entlang. Zumindest hat es Verkehr, wie auf einer Autobahn, halb Belgien ist hier offenbar unterwegs. Irgendwann beschließe ich, nicht mehr auf jedes „Bonjour!“ entgegenkommender Jogger, Spaziergänger oder Radfahrer zu antworten, weil es nervt. Sollen mich die Leute halt für unhöflich halten, ich stiere stur geradeaus und tue so, als hätte ich nichts gehört. Für die Radler ist es ganz toll, dass der Weg so hervorragend asphaltiert ist, für mich als Fußpilger ist es ätzend. Aber der Weg ist fast überall breit genug angelegt, dass ich zwischendurch immer mal wieder auf dem Seitenstreifen über Schotter oder sogar Gras laufen kann.

Gegen 10 Uhr bin ich schon in Herve. Ausnahmsweise geht es mehr oder weniger durch den Ort und nicht daran vorbei. Daher führt es mich auch zu einem Café, das – war ja klar – noch nicht geöffnet hat. Aber immerhin gibt es einen kleinen Park mit Bank und Trinkbrunnen, an dem sich super eine Viertelstunde pausieren lässt.

Irgendwo hinter Herve kreuzt man eine – diesmal richtige – Autobahn. Den Verkehrslärm hört man schon von weitem und er wird mit jedem Schritt nerviger. Also packe ich meine Kopfhörer aus und schließe die Außenwelt aus, indem ich mir Musik auf die Ohren gebe. Bei ein, zwei Liedern würde ich gut gelaunt wie ich bin, sogar gerne mitsingen, aber dafür hat es mir hier zu viel Publikum. Das will niemand hören und ich würde wahrscheinlich noch wegen akustischer Umweltverschmutzung eingebuchtet. Zwischendurch hat es nochmal ein paar Tropfen geregnet, aber das war wirklich harmlos. Die Wolken wurden sogar ein bisschen lichter und dazwischen linste die Sonne vor. Mit dem Meteorologen vom Dienst muss ich trotzdem noch ein ernstes Wörtchen reden.

Nach etwa einer weiteren Stunde laufe ich in Soumagne ein. Gut, dass ich mich gestern nicht noch bis hierher und dann noch 3km weiter bis zum Campingplatz quälen musste! Der Weg ging auf dem RAVeL stur geradeaus, links uns rechts Gewerbegebiete. Nur der schmale Grünstreifen hat es ein wenig erträglich gemacht. Schön ist anders. Vor allem ist es einigermaßen langweilig. Bei einer Apfelplantage überlege ich kurz, ob ich wohl über den Zaun klettern und mir einen oder zwei von den wirklich lecker aussehenden Früchten stibitzen soll, bin dann aber doch zu schissrig und lasse es gut sein. So trotte ich in stumpfes Brüten verfallen und Musik hörend vor mich hin. An einem Café kommt man (natürlich) nicht vorbei, dafür aber an „The Huggy’s Bar“, die erst um 12 Uhr öffnet. Der Blick auf die Uhr verrät, dass es erst 11:20 Uhr ist. Ich wäge ab, ob ich so lange warte oder doch lieber weiterlaufe. In 40 Minuten komme ich doch bestimmt an mindestens noch einem Café vorbei, jetzt da es auf die Vororte von Lüttich zugeht, oder? Vorsicht Spoiler: Pustekuchen. Nix is! Dafür muss jetzt Renées Madeleine dran glauben. Zucker ist gut für die Laune. Oder so.

Hinter Soumagne biegt der Weg dann endlich vom RAVeL ab und führt über Felder. Nicht viel weiter stehe ich dann doof da – an einer Gabelung steht der Muschelwegweiser genau in der Mitte und zeigt geradeaus. Haha, sehr witzig. Karte und Wegbeschreibung im Pilgerführer helfen mir an der Stelle auch nicht weiter und laut Google Maps stehe ich angeblich mitten auf einem Feld. Da beide Wege gleich gut ausschauen und ich nur eine grobe Ahnung habe, wo ich eigentlich hin muss, entscheide ich mich für den rechten Abzweig. Nach 5 Minuten stehe ich allerdings vor einer mit Stacheldraht und einer Brombeerhecke eingezäunten Weide. Einen Wegweiser sehe ich hier nicht und es schaut auch nicht so aus, als könne man drumrum laufen. Ich beschließe, mein Glück nicht zu strapazieren und gehe zur Gabelung zurück, links sollte dann wohl eher passen. Das tut es, wie mir ein paar hundert Meter weiter die nächste Muschel beweist.

Von gar nicht so weit weg höre ich Motorenlärm, der sich nach einigen Minuten als ein ausgewachsenes Amateur-Offroad-Racing-Weekend entpuppt. Ich kann nur daran denken, dass es da doch bestimmt einen Bierstand oder etwas ähnliches geben muss! Offensichtlich habe ich da aber zu viel hereininterpretiert, denn Amateure organisieren sich keinen Bierwagen sondern reisen im eigenen Wohnmobil an und haben höchstens den Kühlschrank im selbigen zwecks Selbstversorgung bestückt. Natürlich hat jedes dieser mobilen Einfamilienhäuschen auch eine Kaffeemaschine. Aber so groß ist meine Not dann doch (noch) nicht, als dass ich jetzt hier anfangen würde, um einen Kaffee zu betteln.

Bellaire, der erste größere Vorort Lüttichs, wird wieder mal nur am Rand gestreift. Ich muss lachen, weil ich die ganze Zeit daran denken muss, ob die hier wohl auch einen eigenen Prinzen à la Will Smith haben. Es geht an vielen Einfamilienhäusern vorbei, aber eine Option zur Einkehr besteht hier natürlich nicht.

Der nächste Ort ist Jupille, zu dem ein schmaler, steiler Hohlweg hinab führt, der aber Gottseidank vielleicht gerade mal 200 Meter lang ist. Das hat aber gereicht, um mein Knie aus dem Tritt zu bringen. Aua, aua, aua! Demjenigen, der hier unregelmäßige, nur grob behauene Steinplatten hat auslegen lassen, um daraus eine Art Treppe zu gestalten sei gesagt: Blöde Idee! Schön ist der Weg hier auch nicht, am unteren Ende hat man den Eindruck, in einer Müllkippe gelandet zu sein. Das passt aber – tut mir Leid, dass ich das hier so offen sage – zum Rest des Ortes, der seine Blütezeit entweder schon seit langer Zeit hinter sich gelassen oder nie erlebt hat. Ziemlich runtergerockt und dreckig. Die Breite des Bürgersteigs schwankt hier zwischen 5m und nicht vorhanden, da macht das Laufen an der Durchgangsstraße richtig Spaß.

Nach einer gefühlten Ewigkeit gehe ich an einem Laden vorbei und kann kaum glauben, was ich sehe: Ein Kiosk! Und er hat offen! Im Lucky Luke Style schieße ich schneller als mein Schatten in den Laden und decke mich mit zwei eiskalten Dosen zuckerfreier Cola ein. Gleich nebenan ist ein Ladeplatz für LKW, so dass es hier ausreichend weit weg von der Straße ist und ich mich auf den Boden setze, mich an die Wand lehne und Pause mache. Passend dazu kommt auch die Sonne raus und lacht mich an. Unglaublich eigentlich – da sitze ich neben einem siffigen Kiosk auf dem Boden an der Straße und freue mich wie Bolle, weil es für mich in diesem Moment nichts Schöneres gibt, als etwas kaltes (und koffeinhaltiges) zu trinken und mir dabei die Sonne auf den Pelz scheinen zu lassen. Der Jakobsweg ist manchmal echt merkwürdig…

So bequem ist mein Logenplatz aber doch nicht, dass ich dort länger als nötig verweilen würde. Außerdem ist mein Ziel auch nicht mehr so weit entfernt. Durch die Vorstadthölle geht es daher zügig nach Lüttich hinein. Die Stadt gibt sich keine Mühe und empfängt Pilger mit ihrer unschönen Seite. Aber vielleicht gibt es ja Menschen, die auf Güterbahnhöfe, Industriebrachen und Plattenbauten stehen?

Endlich wird der Weg seinem Namen gerecht und ich stehe am Ufer der Maas. Schöner wird es allerdings nur bedingt, da diesseits eine Hauptverkehrsstraße und eine Reihe alter, zu Hausbooten umgebauter Flusskähne kurz vor dem Abwracken und am gegenüberliegenden Ufer eine weitere Plattenbausiedlung das Stadtbild prägen. Erst als es allmählich in Richtung Stadtzentrum geht, zeigt sich, dass Lüttich durchaus auch schöne Ecken hat.

Kurz vor einer der Maasbrücken bekomme ich aus einer Gruppe, die auf einer Bank am Ufer sitzt bzw. darum herumsteht ein „Ola, Peregrino!“ entgegen geschmettert. Ich antworte pflichtbewusst mit „Si!“, das „Ah, espagnol?“ muss ich aber dann doch verneinen. Es ist eine Reisegruppe aus Charleroi, die neugierig sind, von wo ich komme und wo ich hin will. Von ihnen habe ich auch erfahren, dass die Kirche Saint Jacques schon geschlossen hat. Welche Kirche schließt denn bitte sonntags um 12 Uhr?! Naja, ist halt so und ich kann’s nicht ändern. Also gehe nicht nicht erst groß in die Innenstadt, sondern schlage den kürzesten Weg zu meinem Hostel ein. Ich brauche eine Dusche und will mich aufs Bett legen. Mit der Wahl meiner Unterkunft habe ich goldrichtig gelegen, für ein Hostel wirklich top. Ich hatte mich zwar erst gegen 17 Uhr angekündigt (warum auch immer die bei der Buchung stundengenau wissen wollen, wann man ankommt…), da ich natürlich nicht wusste, wie schnell ich unterwegs sein werde und bin jetzt eine gute Stunde zu früh dran, aber auf Zimmer kann ich natürlich trotzdem schon. Einen Nachteil hat die Sache natürlich doch, ich muss nämlich noch die Treppe in den zweiten Stock hoch…

Ich bin der erste im Zimmer und kann mir also auch noch mein Bett aussuchen. Von der Rezeption mit frischer Bettwäsche ausstaffiert, werfe ich den Kram aber erstmal aufs Bett und sehe zu, dass ich unter die Dusche komme. Nie war eine Dusche nötiger! Ich, frisch angezogen und das Bett frisch bezogen, begebe mich kurzerhand in die Horizontale, in der ich natürlich prompt einschlafe. Dabei wollte ich doch eigentlich nur einen Blick auf den Stadtplan werfen… Ich werde aber nach nicht allzu langer Zeit wieder wach, weil mir jemand eine heiße Nadel ins Knie sticht. Das kann doch jetzt nicht sein? Die ganze Zeit lief es doch so gut!? Nur wegen diesem blöden Stolperer in Jupille?

Im Endeffekt konnte ich die eigentlich fest vorgenommene Tour durch die Innenstadt leider nicht mehr in Angriff nehmen. (Das hole ich irgendwann nach, spätestens, wenn ich von Lüttich aus weiter pilgere.) Wenn ich nur daran denke, noch 2-3km – auch ohne Rucksack – laufen zu müssen… Ich habe es gerade mal noch so in ein Restaurant um die Ecke für ein schnelles Abendessen geschafft. Mein Knie möchte seine Ruhe und die gebe ich ihm auch.

Im Zimmer haben sich mittlerweile eine handvoll Leute eingefunden, die wie in einem Taubenschlag raus- und reinlaufen. Außer ein paar „Hallo“ ergeben sich aber keine Gespräche. Ich klinke mich daher aus und schlummere irgendwann ein.

Rückreise

In der Nacht wusste ich nicht, wie ich mich hinlegen soll, damit es am wenigsten weh tut, es war also eine ziemlich unruhige Nacht. Morgens wache ich ziemlich gerädert auf, aber mein Knie ist nicht dick und tut auch nicht mehr so weh. Allerdings bin ich am ganzen Körper total verspannt. Wenn ich das Knie ein bisschen bewege merke ich, dass es eigentlich ganz gut geht. Aber ich habe meine Zugfahrkarte zurück nach Aachen schon für den späten Morgen gebucht, so dass ich leider keine Zeit mehr habe, vielleicht doch noch in die Altstadt zu gehen. Gut, Saint Jacques hat Mo-Fr ohnehin komplett geschlossen. Warum auch immer…

Vor dem Hostel treffe ich einen Pilger, der mich ziemlich verdutzt anschaut, als ich ihm einen Buen Camino wünsche. Er ist mehr als offensichtlich Deutscher, will mit mir aber krampfhaft nur Französisch sprechen. Ich verabschiede mich daher recht zügig und lasse ihn stehen, das ist mir zu blöd.

Zum Bahnhof lasse ich mich mit dem Bus fahren, die 3 Kilometer zu laufen habe ich weder große Lust, noch will ich es mit meinem Knie drauf anlegen. Ich bin früh genug dran und setze mich auf die große Freitreppe am Bahnhof und surfe ein bisschen im Internet, bis mein Zug kommt. Von Lüttich aus kann man entweder mit dem Bummelzug bis nach Maastricht und von da aus mit dem Bus zurück nach Aachen fahren oder auf dem direkten Weg mit dem ICE bzw. dem Thalys. Letzteres geht schneller, ist aber natürlich teurer. Ich hatte mich für die entschleunigte Variante entschieden. Dauert inklusive der Umsteigezeit etwa zwei bis zweieinhalb Stunden. In Aachen angekommen war es dann bis zu mir daheim nur noch ein Katzensprung vom Hauptbahnhof aus, den ich dann aber doch wieder gelaufen bin. Immerhin noch ein bisschen Bewegung – und wenn ich mich erst einmal warmgelaufen habe, merke ich das Knie überhaupt nicht. Aber wehe, ich sitze oder liege. Naja, bis zu den nächsten Etappen kann es sich ja erholen.

Fazit

Für dieses eine Pilgerwochenende gleich einen eigenen Fazit-Beitrag zu verfassen, lohnt denke ich nicht. Zumal ich versucht habe, diesmal schon ein wenig mehr „Begeisterung“ in die Beiträge zu packen. Daher bleibt mir an dieser Stelle erst einmal nur zu sagen:

Der Weg scheint seinen eigenen Charakter zu haben. Natürlich nicht zu vergleichen mit den Caminos in Spanien, aber ebenso wenig mit dem Mosel-Camino. Wenn ich mir auf der Landkarte den weiteren Wegverlauf ansehe, geht es im Grunde bis zum Ende der Via Mosana in Rocroi so oder zumindest so ähnlich weiter. Leider läuft man bis hierher überwiegend auf asphaltierten Wegen. Das finde ich beim Wandern/Pilgern immer ein wenig unschön, weil man sich schnell die Fuße platt läuft. Was die Landschaft betrifft, war von weiten Ausblicken, über Wald, bis hin zu Gewerbegebieten und grauen Vororten alles vertreten. Spätestens hinter Namur wird es aber bestimmt deutlich grüner und hügeliger. Das soll aber nicht heißen, dass mir der Weg nicht gefallen hat, im Gegenteil.

Offenbar haben Belgier eine etwas andere, offenere Einstellung zu Pilgern, als die Deutschen. Die Menschen, die ich getroffen habe (ok, es waren nicht allzu viele, aber immerhin) reagierten eher mit einem „oh, cool!“, als mit einem „aha?“. Wenn das bei der Fortsetzung des Weges, die ich definitiv in Angriff nehmen werde, so bleiben würde, wäre das wirklich toll.

Lüttich ist von meinem Zuhause aus ja schnell und einfach erreichbar, da fällt der Wiedereinstieg dann auch leicht und muss nicht groß geplant werden. Morgens spontan in den Zug zu steigen, reicht ja allemal aus.

11 Gedanken zu “Via Mosana Tag 2 – Zu Fuß auf dem Radweg

  1. Mein lieber Stefan, selbst wenn Du die Gegend ohne Nennung der Orte beschrieben hättest, hätte ich gleich sagen können, dass Du in Belgien unterwegs warst. Da gibt es wohl fast nichts Schönes, so zumindest meine persönliche Erfahrung 😉 Trotzdem hast Du Dir den pilgrim spirit bewahrt.

    Das Knie-Problem kenne ich übrigens auch bestens, sag mir bitte Bescheid, wenn Du ein Gegenmittel gefunden hast.

    Gruß aus dem Black Forest, SonjaM

    1. Hallo Sonja,

      Belgien hat durchaus einige wirklich schöne Ecken. Masstricht ist sehr schick, auch die Ardennen. Ich kann eine Kanu-Tour auf der Ourthe nur empfehlen, da hat man ab und an das Gefühl, im Urwald unterwegs zu sein. Clermont war ja auch sehr hübsch. Aber ich gebe Dir absolut recht, dass das Land der beleuchteten Autobahnen hier deutlichen Nachholbedarf hat.

      Für das Knie habe ich mir vom Orthopäden eine Bandage verschreiben lassen, die das Gelenk deutlich stabilisiert. Ich habe das jetzt schon mehrfach ausprobier und es hilft – zumindest bei meinem Knie – schon sehr. Der Nachteil ist, dass ich darunter ziemlich schwitze und das die Bandage ab und an rutscht. Die dann, besonders wenn man eine lange Hose an hat, wieder zu richten, ist ein Kapitel für sich… Laut meinem Arzt soll ich bei Schmerzen auch einfach Ibuprofen nehmen. Aber ich bin kein Fan davon, „einfach so“ Medikamente zu nehmen, solange es sich aushalten lässt.

      Dir ein schönes Wochenende, lieben Gruß
      Stefan

      1. Ach ja, Vitamin I(buprofen) habe ich natürlich auch immer im Gepäck. Ich behelfe mir auch mit einer Bandage, aber manchmal hilft leider nur noch Ruhe, kühlen und hochlegen…
        Bei Maastricht gebe ich Dir recht, schöne Stadt, habe dort auch schon gearbeitet, würde das aber doch eher als niederländisch betrachten.
        In den Ardennen und an der Ourthe war ich auch schon, da sind wir aber dann vor den Menschenmassen geflohen, die dort Bus-weise zum Wandern ausgesetzt wurden.

        1. Da Maastricht ja auch in den Niederlanden liegt… Nunja, sagen wir so: Erdkunde war nie meine Stärke… Aber im Grunde ist in einem weiten Halbkreis um Maastricht nach Westen hin nicht wirklich viel interessantes. Damit habe ich mich ja wieder nach Belgien gerettet 😅

          Die Altstadt von Brüssel soll auch hübsch sein, da war ich aber noch nie.

          Was die Touristen angeht, lässt sich aber über den Schwarzwald dasselbe sagen. Ich will gar nicht wissen, wie viele Kuckucksuhren in Freudenstadt oder Titisee-Neustadt in Reisebussen verstaut werden… Meiner Meinung nach ist Tourismus fast überall zur Plage geworden, wo es auch nur halbwegs schön ist.

  2. Das Tolle am Schwarzwald ist… sobald Du im Wald verschwindest, sind die Touristen weg… es geht nämlich kaum noch jemand zu Fuß. Das habe ich letztes Jahr auf meiner Wanderung auf dem Westweg von Pforzheim nach Basel festgestellt 😉

  3. Danke für den tollen Bericht! Ich bin vorletztes Wochenende das Stück Aachen bis Lüttich gelaufen. Ich konnte vieles von dem, was Du schreibst, nachvollziehen (viel Asphalt, verdreckte Vororte), habe die Strecke aber trotzdem als schön und bereichernd erfunden. Wir hatten aber auch bombiges Wetter, und das mitten im Februar. Selbst Jupille strahlte da irgendwie im Sonnenschein. Der Hohlweg hinunter war bei uns übrigens ein Bach 😀 In den Osterferien werde ich ab Lüttich weitergehen, ich bin sehr gespannt. Viele Grüße!

    1. Hallo Julia,

      ich habe schon lange vor, von Lüttich aus weiterzugehen, aber irgendwie passte das bisher nie. Da bin ich schon ein bisschen neidisch. Es wäre toll, wenn Du Feedback geben könntest, wie es war und wo Du untergekommen bist!

      „Wir“ klingt ja auch danach, dass Du nicht allein unterwegs warst? Bei Gesellschaft *und* Sonnenschein glaube ich gerne, dass man selbst Jupille etwas abgewinnen kann 😅

      Buen Camino!

      1. Hallo Stefan,
        ich reise gerade von Hamburg nach Santiago de Compostela und mache über Ostern Quartier in Köln. Ich habe vor weiter auf der Via Monsana zu reisen. Würdest du mir die Adresse deiner Quartiere, auch weiterer geben?
        Buen Camino
        Hans-Georg

        1. Aber klar doch:
          Clermont: Renee Brandt, Tel. +32 87 – 446 822, jaquesbrandt@voo.be
          Lüttich: Jugendherberge / Auberge de Jeunesse, Tel. +32 4 – 344 5689, liege@lesaubergesdejeunesse.be

          Weiter bin ich leider bisher nicht gekommen… Ob Renee und Jaques noch Pilger beherbergen, kann ich leider nicht sagen – ist ja schon ein paar Jahre her. Ich würde es Dir aber wünschen – es lohnt sich!

          Falls Du in Aachen keine (günstige) Unterkunft findest, ein Matratzenlager könnte ich u.U. auch anbieten.

          Buen Camino!

  4. Hallo Stefan,
    entschuldige bitte, ich habe irgendwie erst heute die Benachrichtigung erhalten, dass Du geantwortet hast.
    Ich bin letztes Jahr im Februar mit einem Freund von Aachen bis Lüttich gelaufen und dann vor Ostern mit einer Freundin (mit der ich seitdem immer mal unterwegs bin) von Lüttich bis Namur und im Sommer von Namur bis Rocroi. Erst Samstag bin ich von einem weiteren Stück nach Hause gekommen, dieses Mal sind wir von Rocroi bis Epernay gelaufen. Alle Strecken empfanden wir als besonders. Belgien hat uns sehr überrascht, es hat doch tolle Landschaften zu bieten. Besonders die Ardennen sind toll. Dieses Mal fanden wir die beiden Etappen vor Reims etwas zermürbend (viel Landwirtschaft, viel geradeaus, man konnte teilweise kilometerweit sehen, wohin es geht, viel Sonne, wenig Schatten). Nach Reims wurde es wieder interessanter mit den Weinbergen. Wir gehen nächstes Jahr weiter, dann allerdings möglichst 2 Wochen am Stück, weil die Anfahrt langsam doch aufwändig wird.
    Viele Grüße,
    Julia

    1. Hallo Julia,

      WordPress ist des Öfteren etwas merkwürdig, was die Benachrichtigungen angeht… Aber Besser spät, als nie 😅
      Danke fürs Teilen Deiner Erfahrungen! Mit ein bisschen Glück geht es dieses Jahr bei mir auch endlich, endlich weiter – vielleicht aber auf dem Fahrrad…

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