Geschichte erleben: Fort Eben-Emael

Ich habe lange, lange darüber nachgedacht, ob ich aus diesem Thema überhaupt einen Beitrag erstellen soll – und wenn ja, wie… Das hier ist nämlich kein fröhlicher Bericht über eine Wanderung oder eine Wohlfühlreise. Im Gegenteil, es ist eben genau nicht schön.

Wie ihr lesen könnt, habe ich mich letztlich aber doch dafür entschieden, denn was ich hierzu ansonsten im großen, weiten Internet gefunden habe, sind entweder mehr oder weniger unreflektiert aus Wikipedia abgetippte Texte, die sich allein auf die Beschreibung der historischen Abfolge der Ereignisse beschränken. Oder – leider sehr viele – Seiten, die teilweise sehr weit über die „emotionale Bewertung der militärtechnischen Aspekte“ hinaus gehen, um es einigermaßen diplomatisch zu umschreiben… Aber ich möchte hier erzählen, was man von einem Ort lernen kann.

Worum geht es eigentlich?

Meine treue Leserschaft erinnert sich vielleicht daran, dass ich während der zweiten Etappe auf der Via Mosana am Fort Battice vorbei gekommen bin.

Jetzt muss man dazu noch wissen, dass ich sehr geschichtsinteressiert bin. Auch was den Zweiten Weltkrieg angeht – als Ingenieur auch an den technologischen Aspekten. Daher wollte ich näher wissen, was es mit diesen bedrückenden, immer noch bedrohlich wirkenden, stummen Zeitzeugen auf sich hat.

Dabei bin ich darauf gestoßen, dass die Anlage besichtigt werden kann. Ebenso wie das weiter nördlich gelegene Fort Eben-Emael, das noch größer ist und dazu besser erhalten. Die Geschichte dieses Ortes war zudem von entscheidender Bedeutung für den Verlauf des zweiten Weltkriegs.

Über die historischen Fakten möchte ich hier nicht groß Worte verlieren, das haben studierte Historiker bereits ausreichend getan. Wie gut die Essenz dessen im entsprechenden Wikipedia-Artikel ist, vermag ich nicht zu beurteilen, aber um einen Überblick zu erhalten, reicht es wohl allemal aus.

Jedenfalls hat mich das Thema nicht losgelassen, so dass ich eine der letzten Möglichkeiten in diesem Jahr genutzt habe, mir das Fort Eben-Emael in Belgien, kurz hinter der niederländischen Grenze bei Maastricht, anzuschauen. Von mir zu Hause aus, sind es bis dort gerade einmal gute 30 Minuten mit dem Auto.

Worum geht es *mir* dabei?

Ohne mich jetzt in Details verlieren zu wollen – ich bin der Meinung, dass man nicht nur aus der Geschichte lernen kann, sondern lernen muss. Vielleicht geht es nur mir so, aber aus meiner Wahrnehmung der täglichen politischen Nachrichten aus dem In- und Ausland gewinne ich zusehends den Eindruck, dass bei vielen Menschen bereits das meiste von dem, was vor mehr als 30 Jahren passiert ist, nicht mehr präsent ist. Dazu gehört selbstverständlich und erst recht auch das dunkelste Kapitel der europäischen und ganz besonders der deutschen Geschichte in den 30er und 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts.

Wenn ich also die Möglichkeit habe, nicht nur ein mehr oder minder trockenes Geschichtsbuch vor mir auf dem Tisch liegen zu haben, sondern mir ein kleines Stück der Geschichte live anzuschauen, bin ich dabei. Erst recht, wenn mir dann noch jemand, der Ahnung davon hat, dazu etwas erzählen kann.

Lektion in Geschichte

Von außen gesehen ist das Fort zunächst einmal genauso unspektakulär, wie schon Battice – der Eingang ist ein großer, grauer Bunker. Gut gesichert durch eine Panzerabwehrkanone und ein Maschinengewehr. Vor dem Eingang finden sich zwei Gedenkstätten – einmal für die Soldaten der belgischen Armee, die bei der Verteidigung des Forts ihr Leben gelassen haben. Das zweite ist den US-Streitkräften gewidmet, die Belgien von den Nazis befreit haben.

Eingang zum Fort Eben-Emael [Wikipedia]

Hinter dem Eingang beginnt zunächst der Museumsbereich. In den Räumlichkeiten der ehemaligen Kaserne gibt es eine Ausstellung, deren Exponate einen Einblick in das Leben der Soldaten im Fort zu geben versuchen. Auch wird der deutsche Angriff auf das Fort in den historischen Kontext eingeordnet. Viel wesentlicher ist aber, dass weite Bereiche des Forts im Rahmen einer – im Eintrittspreis inbegriffenen Führung, auch auf deutsch – besichtigt werden können. Mit 8€ ist man Stand 2019 dabei.

Bei meinem Besuch hatte ich unheimliches Glück. Unser Führer Herr S.* war nicht nur unheimlich kompetent, konnte mit seiner Art zu erzählen auch wirklich etwas vermitteln und ist auf alle Fragen eingegangen. Die Besuchergruppe bestand zudem aus nur 4 Personen, sodass es schon fast eine Privatführung war. (Die niederländische Führung vor uns bestand aus etwa 20 Leuten. Das Fort ist also durchaus gut besucht.)

Jede Führung beginnt mit einer – meiner persönlichen Meinung nach – herausragenden Präsentation, in der erst einmal umfassend erklärt wird, wozu das Fort gedacht war, wie es aufgebaut war bzw. ist und warum es genau dort steht, wo es eben steht. Hierfür wird ein großer Bogen bis zum deutsch-französischen Krieg 1870/71 geschlagen. Auch der Angriff der Wehrmacht wird erklärt inklusive dessen, wie und warum die Dinge so ablaufen konnten, wie sie es nun einmal taten.

Im Anschluss geht es ans Eingemachte. Die Führung ist nichts für Klaustrophobiker, Fußlahme oder Sextanerbläschen. Darauf wird auch ausdrücklich hingewiesen. Die gesamte Anlage ist unterirdisch in den Fels gehauen. Es geht ausschließlich durch lange, tunnelartige Gänge, über Rampen und etwa 250 Stufen hoch und runter. Insgesamt ist das Gangsystem gute 5 Kilometer lang, geschätzte 2 davon nimmt man während der Führung unter die Füße. …und die einzige funktionierende Toilette gibt es im Eingangsbereich. Die allermeisten Gänge sind aber immerhin ausreichend hoch, dass man bequem aufrecht laufen kann. Das Fort ist komplett trocken, gut belüftet und in den Bereichen, die während der Führung besichtigt werden auch gut beleuchtet.

Herr S. erzählt umfassend über den Aufbau des Forts und die Technik, die dahinter steckt – insbesondere die Wasser- und Luftversorgung – und schafft es dabei alles so zu erklären, dass man denkt „Klar, logisch. Warum sollte man das auch anders machen?“ Das alles immer wieder vor dem historischen Kontext, insbesondere den belgischen Erfahrungen mit Giftgas auf den Schlachtfeldern Flanderns im Ersten Weltkrieg. Wir bekommen eine der Kasematten zu sehen, in denen die Geschützmannschaften nichts anderes zu tun hatten, als schnellstmöglich und blind auf einen nahenden Feind zu schießen.

Blind ist hier das Stichwort – denn es ist eine beeindruckende und erschreckende Erkenntnis, dass die Besatzung in diesem Bauwerk im Grunde eingesperrt war, wie in einem Kaninchenbau. Bis auf winzige Sehschlitze an den Beobachterkuppeln der Kasematten und Türme konnte man nicht einmal rausschauen. Und genau hier greift die Stärke der Erzählungen von Herrn S. Er schafft es nämlich hervorragend, einen in die Lage eines der belgischen Verteidiger zu versetzen. Er erzählt von der Ungewissheit, der Angst, der Panik einem vermeintlich übermächtigem Feind gegenüber zu stehen. Wir als Besucher würden wahrscheinlich selbst im Hellen nicht direkt den Weg zum Ausgang finden. Wie es für einen Soldaten unter Gefechtsbedingungen gewesen sein muss, sich zurechtzufinden, können wir zumindest erahnen, als Herr S. kurz das Licht ausschaltet. Es gibt absolut kein Licht mehr, totale Schwärze. Da würde ich wahrscheinlich auch ohne Beschuss Fracksausen bekommen.

Auch die Folgen des Angriffs werden anschaulich gezeigt (es ist alles noch im Originalzustand) und vor allem: erklärt. Sicherlich ist vieles davon Militärhistorie und an sich nicht unbedingt für jeden interessant. Aber es ist die Sache, wie die Geschichte erzählt wird.

Die Führung dauert etwa 3 Stunden, sehr lohnenswerte Stunden. Es gibt (nach vorheriger Anmeldung) auch Sonderführungen, bei denen man bis zu 6 Stunden lang auch die hintersten Winkel des Fort erkundet. Im Anschluss bietet es sich an, sich noch den oberirdischen Teil des Forts, also die Kasematten und Geschütztürme, anzuschauen. Nicht nur, damit man mit eigenen Augen sieht, worüber während der Führung erzählt wurde, sondern auch – in meinem Fall – um das Gehörte auch ein wenig sacken zu lassen.

Da man dem Fort „aufs Dach steigt“ geht es einige Meter nach oben, auf das Plateau. Dort oben kann man dann über Feldwege ein Mal rund herum laufen. Festes oder zumindest wasserdichtes Schuhwerk ist zu empfehlen. Wenn man mag, kann man bis zum Albertkanal laufen.

Was lerne ich daraus?

Ich bin mit wenigen Erwartungen nach Eben-Emael gefahren. Ein Fort, unterirdisch angelegt, ein kleines Museum. Was also soll man dort schon groß mitnehmen? Aber die Besichtigung war außergewöhnlich gut. Das lag sicherlich zu großen Teilen an unserem Führer, wobei ich mir nicht vorstellen kann dass auch die anderen – allesamt freiwilligen – Führer das schlechter machen.

Ich musste an ein paar Stellen schwer schlucken und noch viel häufiger den Kopf schütteln, ob der Tatsache, wie bescheuert die Menschheit doch sein kann.

Ich kann und will es mir nicht vorstellen, wie es sein mag, als junger Mann seine Heimat verteidigen zu müssen. Ob jetzt in einem Fort oder sonst irgendwie. Zwar war ich als Wehrdienstleistender beim Bund, aber um ehrlich zu sein, ist das mit der Situation damals in keinster Weise zu vergleichen.

„Opa erzählt vom Krieg“ wird je gerne ein wenig herabwürdigend als Spruch hergenommen, wenn alte Menschen von „früher“ erzählen. Meine beiden Großväter waren im Krieg, der eine bei der Marine im Atlantik, der andere an der Ostfront und anschließend für Jahre in sowjetischer Gefangenschaft. Ich weiß nicht, ob das für beide ein Tabu-Thema war, gesprochen haben sie mit mir jedenfalls nie darüber. Aber ich war noch zu jung, als dass ich sie danach gefragt hätte – und später hatte ich leider keine Möglichkeit mehr dazu. Nur meine eine Oma hat ab und an davon gesprochen, wie es war, wenn wieder Bombenalarm war oder sich ein SS-Offizier bei ihnen einquartiert hat…

Wir sollten vielleicht alle besser zuhören – und uns erst einmal überhaupt die Zeit nehmen, zuzuhören, wenn „Opa vom Krieg“ erzählt. Denn früher war eben nicht alles besser. Im Gegenteil.

Ich bin als weißer, männlicher Deutscher im Mitteleuropa des ausgehenden 20. Jahrhunderts geboren. In eine Zeit hinein, in der der letzte Krieg hier schon lange zurück liegt und die verschiedenen europäischen Nationalitäten einander trotz aller Unterschiede sehr eng verbunden sind. In eine Zeit, in der eben nicht einfach nur zählt, wer den größeren Stock hat. Gnade Geburt habe ich also ein großes Los gezogen. Aber man muss auch etwas dafür tun, dass es so bleibt – und dafür muss man halt auch wissen, wie es anders ausschauen kann und vor zwei Generationen ausgeschaut hat. Es ist eben nicht nur die Story des x-sten in WKII oder wannanders spielenden Ego-Shooters, bei dem man endlos respawnen kann…

Das sind meine wie man so schön sagt „just 2 cent“. Ich kann jedem nur raten, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen. Was man daraus macht, bleibt jedem selbst überlassen.

Überall in Deutschland gibt es Museen, Ausstellungen, Gedenkstätten, die sich mit diesem Teil der Geschichte oder vielen anderen historischen Themen auseinandersetzen. Im benachbarten Ausland nicht weniger, dort bekommt man zudem gute Einblicke „von der anderen Seite“.


*: Da ich von Herrn S. keine Genehmigung bekommen habe, seinen Namen hier zu veröffentlichen, lasse ich ihn selbstverständlich anonym.

2 Gedanken zu “Geschichte erleben: Fort Eben-Emael

  1. Da hast Du mir aber eine Gänsehaut verschafft. Ähnlich wie Dir es Dir in den Katakomben erging, so fühlte ich mich beim Besuch des ehemaligen KZ Dachau. Als Kind der 80er begreife ich nicht, was die Menschen damals umgetrieben haben muss und als jemand, der lange im Ausland gelebt hat, bin ich umso fassungsloser, welche Wortwahl in Deutschland inzwischen wieder salonfähig ist. Bleiben wir wachsam. Nachdenkliche Grüße, SonjaM

    1. Vielen lieben Dank für Dein Statement. Ich war mir auch nach dem veröffentlichen irgendwie nicht sicher, ob der Beitrag nicht vielleicht doch total daneben ist. Aber Deine Reaktion zeigt mir, dass ich zumindest nicht komplett daneben liege..

      Vor einigen Jahren habe ich in Berlin die „Topographie des Terrors“ auf dem Gelände der GeStaPo und SS besucht. Das war noch einmal mindestens zwei Nummern härter. Die persönlichen Geschichten und Fotos dort haben mich wirklich mitgenommen…

Kommentar verfassenAntwort abbrechen