Caminho Português – Was nicht sein soll…

(Update vom 23.03.2020)

Ich hatte so sehr gehofft, dass ich einen Beitrag wie diesen nicht zu schreiben brauche. Es tut mir in der Seele weh.

Eigentlich wäre mein nächster Beitrag zum Caminho Português erst Mitte Mai fällig gewesen. Ich hätte hier bestimmt noch einmal betont, dass es mir im Großen und Ganzen hervorragend geht. Dass die Gesundheit mitspielt, ich keine Geldsorgen habe und mein Job mir Spaß macht. Ich hätte sogar die Aussicht, doch wieder ein größeres Team leiten zu können. Damals™ hatte ich mich ja bewusst dagegen entschieden, weil sich das Hamsterrad immer schneller und schneller gedreht hatte, bis ich irgendwann die Bremse ziehen musste. Aber jetzt würden die Umstände, die Leute im Team und die Aufgabe einfach passen. Also alles tutti und dieser Jakobsweg wäre das i-Tüpfelchen meiner guten Laune gewesen. So der Plan. Wie sagt Hannibal Smith so schön? „Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert“. Aber hat beim A-Team jemals ein Plan nicht funktioniert? Und wo ist das A-Team, wenn man es mal braucht?!

Perspektivwechsel

Meine Motivation für diesen Caminho hat sich leider seit Ende Februar ein wenig verändert…

Manchmal ist das Schicksal halt einfach ein Arschloch und gönnt einem nicht, dass man gerade mal eben ein bisschen glücklich und sorgenfrei ist. Denn Ende Februar habe ich erfahren, dass mein Arbeitgeber abgewickelt wird, sollte nicht noch ein Wunder geschehen. Es kann also gut sein, dass irgendwann in den nächsten Wochen bei mir zu Hause die betriebsbedingte Kündigung in den Briefkasten flattert. Also wieder Jobsuche. Also wahrscheinlich wieder umziehen – dabei habe ich mich doch gerade erst wieder zu Hause gefühlt. Scheiße, ein riesengroßer Haufen.

Selbst, wenn ich zu den Glücklichen gehören sollte, die nicht direkt gekündigt werden, weil verschiedene Bereiche des Unternehmens noch etwas länger bestehen bleiben sollen (was auch immer das genau heißen mag), bin ich mir nicht sicher, ob ich als „Leichenfledderer“ dann dort bleiben möchte. Ich möchte aktiv gestalten und nicht einfach nur verwalten. Die Stimmung bei den verbleibenden Kollegen ist dann bestimmt auch nicht eben rosig.

Der Caminho hätte also dafür sorgen sollen, dass ich unter Leuten bin, die mich von dem ganzen Mist ablenken. Die Pilgergemeinschaft sollte dafür sorgen, dass ich Menschen um mich herum habe, die meine trotz allem gute Laune auf diesem hohem Niveau halten. Zu Hause bin ich nämlich definitiv zu oft zu einsam und verfalle in stumpfes Brüten. Ich weiß schon gar nicht mehr, wie das ist, mit jemandem über längere Zeit zusammen zu sein. Von zusammen leben mal ganz zu schweigen. Daher wollte ich auf diesem Weg gesteigerten Wert auf Gesellschaft legen. Zwar habe ich überhaupt kein Problem damit, allein zu sein, ich bin ja schließlich keine Klette. Natürlich treffe ich mich abends auch des öfteren mit Freunden oder trinke ein Bierchen mit Kollegen. Aber einsam zu sein ist halt schon etwas anderes. Daher wollte ich hier gemeinsam mit anderen Menschen lachen, Blödsinn machen oder, oder, oder… Ich werde in ein paar Wochen 42, die Antwort auf die Frage „nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest“. Vielleicht ereilt mich an dem Tag ja die Erleuchtung, aber ich würde mich schon mit der Aussicht auf eine eigene kleine Familie zufrieden geben. Mein eigenes kleines Universum quasi.

Virulentes kleines Miststück!

Neben dem ganzen Selbstmitleid kommt natürlich das zur Zeit alles beherrschende Thema dazu, der eigentliche Grund für diesen Beitrag. Zwischen den Zeilen ist es vielleicht schon durchgeklungen, aber ich werde meinen Caminho – stand jetzt – schweren Herzens auf unbestimmte Zeit verschieben.

Was Wind und Wetter nicht schaffen, schafft so ein kleines, verteufeltes Virus. „Corona“… Wer ist eigentlich auf den Namen gekommen? Abgesehen von einem eher mittelprächtigen Leichtbier steht der Name doch eigentlich für etwas schönes, strahlendes?!

Angst, mich anzustecken, habe ich eigentlich keine. Den „neuen heißen Scheiß“ beherzige ich schon seit immer: Hände waschen, generell Körperhygiene, niemandem ins Gesicht niesen oder husten, an der Supermarktkasse so weit Abstand halten, dass man der Person vor einem nicht in den Nacken atmet. Wenn ich krank bin, bleibe ich auch mit dem Hintern zu Hause, damit ich niemanden anstecke. Das alles wurde mir komischerweise schon als Kleinkind von meinen Eltern beigebracht. Dass ich bei einer Epidemie versuche, mich von großen Menschenansammlungen fern zu halten, gebietet doch auch der gesunde Menschenverstand, oder nicht? Aber offensichtlich ist das ja für viele Leute Neuland.

Ich könnte mich hier jetzt seitenweise darüber auslassen, wie sehr zum Kotzen ich es finde, dass Idioten die Desinfektionsmittel aus Krankenhäusern stehlen, von Intensiv- und Frühchenstationen! Hallo, geht’s noch?! Oder wie dämlich ich Hamsterkäufe finde. Vor allem WAS die Leute kaufen. Nudeln, Klopapier, Mehl. Vor allem das Mehl – was machen die damit? Für Brot und Kuchen fehlt da noch ein bisschen was? Aber egal, zurück zum Thema…

Was ich mir aber nicht verzeihen könnte wäre, wenn ich mir das Virus doch unbemerkt eingefangen habe und dann andere Menschen anstecke. Ich möchte nun wirklich nicht dafür verantwortlich sein, dass im schlimmsten Fall jemand stirbt. Für mich selbst kann ich das Risiko abwägen. Wenn ich krank werde, ist es halt so. Da bin ich Optimist genug und glaube, dass es schon glimpflich ausgehen wird. Aber für die Menschen um mich herum will und kann ich das nicht verantworten.

Außerdem – was wäre das denn bitteschön für ein Pilgerweg? Jeder geht sich aus dem Weg, es sind ohnehin kaum Pilger unterwegs, am besten läuft die Hälfte davon mit Mundschutz rum und das Thema aller Gespräche ist dieses Virus. Die Rückmeldung von Pilgern, die zur Zeit auf verschiedenen Wegen in Spanien unterwegs sind, macht auch nicht eben Mut.

Portugals öffentliche Verwaltung hat mir die Entscheidung für oder wider diesen Jakobsweg in den letzten Tagen auch ein Stück weit abgenommen. Denn entlang des Weges sind viele Herbergen geschlossen worden, um als Notfallquartier im Quarantänefall dienen zu können. Einige weitere stellen nur noch eingeschränkt Plätze zur Verfügung, damit die Pilger nicht dicht an dicht schlafen müssen. Zudem raten die spanischen Behörden von Reisen nach Spanien ab, in Galicien sind ab heute alle Herbergen, Geschäfte, Bars und Restaurants geschlossen. Auch das Pilgerbüro und die Kathedrale bleiben zu.

Besonders in Spanien ist das Gesundheitssystem ohnehin schon am Limit. Selbst wenn ich aus einem anderen Grund – Knöchel verknackst, Magen-Darm, Sonnenstich oder wasauchimmer – zum Arzt müsste, die haben zur Zeit besseres zu tun, als sich um dahergelaufene Pilger zu kümmern.

Egoismus vs. Vernunft und ein Plan B

Natürlich bin ich enttäuscht. Vielleicht sogar ein bisschen wütend. Schließlich ist das mein Weg, den ich unbedingt gehen wollte. Jetzt wird mir die Möglichkeit genommen, meine Pläne umzusetzen. Ich habe mich schon seit Monaten darauf gefreut und jeden Tag auf den Kalender geguckt, wie lange es noch hin ist. Aber es geht nun mal nicht nur um mich.

Es sind jetzt noch genau fünf Wochen, bis ich meine erste Etappe starten wollte. Ich habe nach wie vor ein ganz kleines bisschen Hoffnung, dass sich die Lage zumindest ein wenig verbessert. Abgesehen von den Flügen und der ersten Übernachtung in Porto habe ich ohnehin nichts gebucht. Wenn ich stornieren würde, bekäme ich kein Geld zurück, also kann ich auch noch warten und dann spontan vielleicht doch noch starten.

Mein Kopf sagt ganz klar: Das wird nichts. Die Krankheit ist in der Welt und bis die Welle durch ist und sich die Zustände normalisiert haben, vergehen eher Monate als Wochen. Mein Bauch sagt: Geh! Da ich ein Kopfmensch bin, ignoriere ich meinen Bauch, auch wenn sich dabei in mir alles zusammenzieht…

Aber irgendetwas muss ich tun, sonst fällt mir zu Hause die Decke auf den Kopf. Also habe ich im Fall der Fälle einen Plan B, der sich halbwegs kurzfristig umsetzen lässt. Zwar wäre ich dann nur etwa eine Woche unterwegs, aber immerhin. So richtig spruchreif ist das aber noch nicht, deswegen möchte ich jetzt noch nicht zu viel darüber verlieren.

Ich müsste zwar schauen, wie ich meinen Urlaub aufteile, damit das mit dem Caminho dieses Jahr dann vielleicht doch noch klappt – immer vorausgesetzt, ich habe dann nicht einen neuen Job, wäre in der Probezeit, mit einem Umzug beschäftigt, oder, oder, oder… In dem Fall müsste ich wohl auf kommendes Jahr verschieben. Im heiligen Jahr wollte ich eigentlich vermeiden, in Spanien zu pilgern, aber bis 2022 will ich den Caminho auch nicht aufschieben.

Ich gebe zu, ein wenig egoistisch bin ich dann natürlich doch, dass ich überhaupt daran denke, mich nach draußen zu begeben. Aber hoffentlich in einem vernünftigen Rahmen, so blöde das klingen mag.

Aber wer weiß schon, wie es in ein paar Wochen aussieht? Ich behalte mir trotz allem einen gewissen Restoptimismus, vielleicht klappt es ja doch und im April ist wieder alles eitel Sonnenschein? Dann würde ich mich umso mehr freuen. Aber wenn es dicke kommt, bleibe ich halt vorerst ganz zu Hause.


Update:

Tja, jetzt ist es also doch – und wie zu erwarten – definitiv: Die Lufthansa hat meinen Hinflug storniert, ebenso die Pension in Porto. Diesen letzten Strohhalm werde ich also jetzt hernehmen und mir damit heute Abend genüsslich einen Cocktail nuckeln.

Dann werde ich als nächstes zusehen, ob ich den beim Arbeitgeber eingereichten Urlaub verschieben kann. Falls nicht, ist das aber auch kein Weltuntergang. Schlimmstenfalls sitze ich bei nach wie vor herrschender Ausgangsbeschränkung die drei Wochen lang auf dem Balkon oder im Wohlfühlsessel und lese. Lesestoff habe ich noch mehr als ausreichend.

Erst einmal ist für mich aber persönlich viel wichtiger, ob es bei dem ganzen Mist vielleicht doch irgendwie möglich ist, mit meiner Familie Ostern zu verbringen. Das wäre schön. Ansonsten muss ich für meine beiden Neffen wohl noch eine App für die Osterei Suche finden. Vielleicht lässt sich Pokemón Go umprogrammieren?

Wie es dann wandertechnisch bei mir weitergeht, werden dann die kommenden Wochen zeigen. Kommt Zeit, kommt Rat.

6 Gedanken zu “Caminho Português – Was nicht sein soll…

  1. Lieber Stefan,

    vor ein paar Minuten hatte ich noch an Dich gedacht und war bereits dabei, Dir eine email wegen der aktuellen Situation zu schreiben… und nun hast Du mir meine Frage schon beantwortet. Ich bin da ganz bei Dir. Auch wenn jeder seinen Weg gehen sollte, wie er/sie es für richtig hält, finde ich es (für mich) wichtig, nicht zu denen zu gehören, die die Zeichen der Zeit ignorieren. Es soll eben nicht (jetzt) sein.

    Dass bei Dir gerade jetzt auch noch existenzielle Sorgen wie Jobverlust und erneuter Wohnungswechsel dazu kommen mögen, macht die Sache sicherlich auch nicht besser. Aber wer weiß, dann hast Du später mehr Zeit zum Pilgern 😉

    Es gibt ja noch Pilgerwege vor der Haustür, die für ein paar Tage auch mit Zelt und Schlafsack als Selbstversorger zu bewältigen wären, falls das etwas für Dich sein sollte. Oder Du gehst irgendwo in Deutschland wandern. (Falls es Dich in den Schwarzwald verschlagen sollte, sag Bescheid.)

    Verlier den Mut nicht und bleib gesund. LG aus dem Schwarzwald, SonjaM

    1. Hallo Sonja,

      aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben. So unwahrscheinlich das auch sein mag, aber vielleicht klappt es ja doch noch irgendwie im April, dann freue ich mich umso mehr. Ansonsten ist das mit der Planerei bei mir halt wegen der Begleitumstände ein wenig kompliziert, da ich nicht weiß, wann, wie, wo…

      Quasi von der Haustüre aus könnte ich ja endlich die Via Mosana weiterlaufen. Aber das hängt natürlich auch von der Situation in Belgien ab. Momentan reizt mich die Strecke auch nicht besonders, weil SEHR einsam. Mein Plan B wäre zur Zeit das Müllerthal in Luxemburg. Ach, mal sehen…

      Hast Du denn auch einen Plan B?

      Liebe Grüße
      Stefan

      1. Hallo Stefan,
        mein Plan B könnte Wetter abhängig wahrscheinlich eine Woche Wanderung durch den Schwarzwald (z.B. Mittelweg, den Westweg habe ich schon durch) oder ein Teilstück des Albsteigs (HW1) auf der Schwäbischen Alb werden. Da hätte man die Möglichkeit, Menschen(ansammlungen) gut aus dem Weg zu gehen. Eine Pilgeralternative wäre evtl. der Mosel-Camino. Warten wir es ab. LG Sonja

        1. Der Mosel-Camino ist toll! Bis MItte Mai ist da allesdings auch ohne Corona tote Hose in Sachen Infrastruktur. Viele der Straußwirtschaften und Pensionen haben bis dahin noch zu.

          Falls Du Dich für den M-C entscheiden solltest, nimm auf jeden Fall die Alte Lateinschule in Traben-Trarbach (Viele Grüße an Frau Böcking!) und die Eberhardsklause in Klausen mit!

  2. Ja, bitte, bleib optimistisch. Eine Tür, die geschlossen wird, ist auchi immer eine neue Tür, die aufgeht, auch wenn man die oft erst in der Nachschau sehen kann.
    Es gibt auch bei uns wunderschöne und sehr einsame Wanderwege.
    Bleib gesund!

    1. Huch, da bist Du hier ja quasi fast inkognito unterwegs 😉

      Ach klar, ich lasse mich doch von so was nicht klein bekommen! Ein winzig kleine Hoffnung, dass es ganz eventuell vielleicht ja doch noch klappen könnte, habe ich nach wie vor. Da muss sich mein Realismus ein bisschen hintenan stellen.
      Das Blödeste, was passieren könnte wäre, dass ich meinen Urlaub nicht verschieben kann bzw. darf. Das würde im Schlimmsten Fall bedeuten, dass ich drei Wochen frei habe, aber in der jetzigen Situation nichts machen und nirgendwohin könnte. Abwarten. Auch das ist vielleicht für irgendwas gut…

      Viele Grüße und mindestens genauso viel Gesundheit,
      Stefan

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