Camino a Fisterra Tag 3 – Der mit dem Wolf tanzt

20. September 2020 – Olveiroa nach Cee (20 km)

Meine Güte! Ich war mit Don Dezibel und Lady Schnarch-a-lot im Zimmer. Wie schafft der menschliche Körper es nur, so dermaßen laute Geräusche zu erzeugen? Zumal beide wirklich eher zierlich sind, also mit Resonanzkörper ist da nicht viel. …und warum werden die Schnarcher nicht wach von ihrem eigenen Lärm? Das nächste Mal nehme ich gar keine Ohrstopfen mehr mit, die bringen in so einem Fall sowieso nichts. Vielleicht eher Ohrschutzkopfhörer, wie sie in der Industrie verwendet werden? Beim Bund hatte ich einen tollen Lärmschutzhelm, da wurde auch aus einem startenden Tornado in 5m Entfernung ein leises Brummen…

Liegen bleiben und sinnfrei an die Decke starren führt ja auch nirgendwohin. Wieder einschlafen zu können, ist bei dem Krach auch illusorisch. Also ab ins Bad und dann zügig los.

Da das Fenster nur einen Spalt weit offen stand – immerhin besser als nichts – war das Raumklima auch nur sehr, sehr bedingt dazu geeignet, dass meine gewaschenen Klamotten vernünftig trocknen können. Alles ist noch klamm. Gut, dass ich genug Sachen zum Wechseln dabei habe, muss sich ja auch Mal auszahlen, das Zusatzgewicht mit mir herumzuschleppen. Das nasse Zeug jedenfalls baumelt den Tag über draußen an meinem Rucksack.

Frühstart nonstop

Das frühe, erzwungene Aufstehen lässt mich um 7 Uhr aufbrechen. Die Bar nebenan hat noch zu aber auch die geöffnete, schräg gegenüber kann mich im Moment gar nicht reizen. Es gibt also zunächst weder Kaffee, noch sonst etwas in Richtung Frühstück. Aber auch ok, dann lege ich mich heute ordentlich in die Riemen, irgendwann wird schon eine Gelegenheit kommen. Oder ich bin zeitig am Ziel und gönne mir dann dort etwas. Bis Cee sind es ohnehin nur 20 Kilometer, dann sollte ich recht früh da sein und kann mir dort etwas Vernünftiges zu essen organisieren.

Im Endeffekt bin ich die ganze Strecke heute ohne Pause durchgelaufen. Erst wollte ich mir die Müdigkeit aus den Knochen laufen und später, als ich durchaus eine Pause hätte machen wollen, gab es bis zum Ziel schlicht keine Möglichkeit mehr. Wie ich das so ganz ohne Koffein geschafft habe, bleibt ein Mysterium.

So laufe ich jedenfalls bei wunderschönem Wetter in einen wunderschönen Sonnenaufgang (also genau genommen, laufe ich ja vor ihm weg). Kurz spiele ich mit dem Gedanken, vielleicht doch heute noch bis Finisterre weiterzupilgern. Auch wenn es verlockend ist, ich mag heute nicht so weit gehen. Außerdem wäre ich dann total fertig – und dann noch hoch zum Kap und wieder zurück? Nee, nee, dann lieber morgen ganz entspannt und ein spätes Frühstück in Finisterra.

Auf dem Weg zum Meer muss man jedenfalls ganz schön viele Höhenmeter überwinden. Na gut, so viele sind es jetzt auch nicht, aber es geht ab und an immer Mal wieder nach oben und zwar so, dass ich nur schwer in einen vernünftigen Laufrhythmus komme.

An der Abzweigung, von der aus man direkt nach Muxía pilgern kann, treffe ich noch einen Pilger, den ich zuvor noch nie wahrgenommen habe, der aber steif und fest behauptet, er würde mich wiedererkennen. Da ich links nach Finisterra weiterziehe, während er geradeaus nach Muxía geht, nehmen wir uns aber nicht die Zeit, das tiefer zu ergründen. Aber immerhin schießen wir gegenseitig Fotos von uns.

Wildes Galicien

Vögel aller Art, Eidechsen, Insekten, Kühe, Pferde, Esel, Schafe, Ziegen, Hunde und Katzen – das ist im Wesentlichen das zoologische Programm, das sich mit entlang des Jakobswegs bisher geboten hat. So weit, so unspektakulär. Der Tag heute toppt aber alles.

Zuerst laufe ich einer Schlange über den Weg, die sich mitten auf dem Weg drapiert hat und mich finster anstarrt. Locker über einen Meter lang, ist das bisher die längste / größte Schlange, der ich bisher in freier Wildbahn begegnet bin. Wenn ich das richtig recherchiert habe, war das eine harmlose Grasschlange, aka. Ringelnatter. Ich gehe trotzdem in einem angemessen großen Bogen um das Tierchen herum.

Nicht viel später läuft Julien auf mich auf. er will heute ebenfalls nicht gleich bis Finisterra laufen, sondern macht Station in Corcubión. Ob er vom Ende der Welt dann weiter nach Muxía geht, weiß er auch noch nicht. Ob ich in der Herberge vielleicht seine französischen Freunde gesehen hätte? Gesehen?! Die habe ich vor allem gehört!

Wer den Francés in 28 Tagen geschafft hat, hat einen flotten Schritt drauf. Also zieht Julien nach ein paar Minuten locker davon. Als er etwa 100 Meter vor mir ist, bleibt er auf einmal wie angewurzelt stehen. Ich rufe ihm laut hinterher, ob etwas passiert sei, er heißt mir aber nur, still zu sein. Als ich zu ihm aufschließe, meint er nur leise zu mir „Schau, Wölfe!“ – und tatsächlich tummelt sich im Dickicht ein ganzes Rudel. Wie cool ist das denn bitte?!

Die meisten rennen einfach in die Büsche, ein oder zwei ducken sich weg. Ein wahrscheinlich jüngeres Exemplar ist aber vorwitzig, steht ein paar Meter neben dem Weg und schaut uns neugierig an. Als der Wolf dann aber doch den Rückzug antritt, bleibt er wenigstens noch fotogen für ein Beweisfoto stehen.

Das zu erleben – Hammer! Auch Julien steht der Mund offen. Ich habe ja mit vielem gerechnet, aber wer kommt denn darauf, dass man einem Rudel Wölfe quasi vor die Füße rennt? Ich hatte nicht eine Sekunde Angst, allerdings sehr wohl Respekt. Das Verhalten des Rudels war aber auch keinesfalls bedrohlich. Abgesehen davon, wären Julien und ich mit Armen, Beinen und Wanderstöcken ja auch einigermaßen wehrhaft gewesen.

Als wir weitergehen, sehen wir durch das Gebüsch ab und an noch einen Schatten huschen, aber zu sehen bekommen wir keinen der Wölfe mehr. Von nun an, jedes Mal, wenn Julien und ich uns treffen, noch vor einem „Hallo“ kommt in den nächsten Tagen die Frage, ob der andere noch einmal Wölfe gesehen hat.

Danach ist der weitere Weg über die Hochebene bis nach Cee zwar schön, aber doch ein wenig eintönig. Ginster und Heidekraut bieten halt irgendwann eher nur recht wenig Abwechslung. Dafür, dass es einem nicht zu langweilig wird, sorgt aber der sehr grobe, steinige Untergrund, bei dem man doch ein wenig aufpassen muss.

I see Cee, see you Cee, too?

(Keine Ahnung, ob es jetzt Cee oder Cée heißt. Im Internet habe ich beide Schreibweisen gefunden, auf der Webseite der Stadt wird auf den Akut verzichtet, daher bleibe ich bei Cee.)

(Was mir so alles an Wortspielen bei dem Ortsnamen durch den Kopf geht, darf man ja auch keinem erzählen… Cee, Zeh, Tse-Tse, oder halt englisch ausgesprochen in diversen Varianten mit see und C, gerne auch spanisch: Si! Oder Sissi! Boah, wird Zeit, dass ich unter Menschen komme… 🤪)

Endlich kommt der Atlantik ins Blickfeld. Zum ersten Mal seit ich bei Vila do Conde auf den Central übergewechselt bin, sehe ich das Meer. Ok, abgesehen von der Bucht bei Arcade, in der ich ja sogar geschwommen bin. Also gut: ich sehe zum ersten Mal seit dann das offene Meer. Ich bleibe an einer Stelle mit schöner Aussicht eine Weile stehen und muss tief durchatmen. Nicht, weil ich aus der Puste wäre, sondern weil ich beim Gedanken daran, dass ich bald am Ziel bin – und damit meine ich Finisterra und nicht Cee – einen kleinen Klos im Hals loswerden muss.

Um nach Cee zu kommen, muss ich im Anschluss aber noch ein gutes Stück bergab. Der Abstieg ist teilweise wieder Mal sehr steil. Da es sich auf dem feinen Schotter stellenweise auch wunderbar ausrutschen lässt, komme ich nur langsam voran und bin froh, dass meine Stöcke mir helfen, im Gleichgewicht zu bleiben. Für meine Knie und die Knöchel ist es aber eine Herausforderung.

Meine Herberge ist wieder Mal ein Volltreffer. Klein, schnuckelig und die Hospitalera reißt sich ein Bein aus. Einen Extrapunkt bekommt sie, als sie mir einen großen Pott heißen Kaffee vor mich hinstellt. Das Leben ist schön! Den Stempel, den sie mir in den Credential drückt, ist mit Abstand das größte Exemplar, das ich bisher gesammelt habe. Es zeigt auf jeden Fall viel Herz. Was dieses komische Etwas links darstellen soll, weiß ich auch nicht so recht.

Mein Bett steht in einem großzügig bemessenen, mit einem Vorhang abgetrennten Abteil. Da auch hier wegen Corona immer nur eines der Doppelbetten belegt werden darf, habe ich also ausreichend Platz. Wie immer weiß ich das zu nutzen und ich verteile meinen Kram großzügig, während meine gewaschene Wäsche draußen an der Straße auf dem Wäscheständer trocknet. Allerdings ist es ein wenig dunkel, denn das nächste Fenster ist ums Eck. Aber gut, wozu gibt es denn Deckenlampe und Leselicht?

Tageslicht ist mir allerdings lieber und ich brauche wirklich und endlich etwas zu futtern. Der nächste Supermarkt ist nicht weit weg, ich mache zuerst jedoch einen kleinen Umweg und setze mich auf der kleinen Strandpromenade auf eine Bank und genieße die Sonne. Blöderweise habe ich sowohl Kamera als auch Handy in der Herberge liegen lassen, sodass ich keine Fotos schießen kann. Lange bleibe ich allerdings auch nicht sitzen, denn der Wind ist echt frisch und wenn man sich nicht bewegt, kühlt man doch recht schnell aus.

Cee selbst ist nicht besonders groß und auch nicht besonders spektakulär. Die Lage des Städtchens in der kleinen Bucht ist eigentlich ganz nett. Aber wer bitteschön ist denn auf die Idee zu kommen, ein großes Krankenhaus in feinster kubistischer Sichtbetonarchitektur gleich neben die Promenade zu setzen? Ganz schön hässlich. Aber auch sonst tut sich der Ort optisch nicht besonders hervor.

Da es hier nicht viel zu tun gibt, wird es auch heute wieder ein gemütlicher Nachmittag in der Herberge. Gegen Nachmittag tauchen drei Damen auf, die offensichtlich ebenfalls nach Finisterra pilgern. Da keine von ihnen auf meine Begrüßung reagiert, denke ich mir „Wer nicht will, der hat schon“ und lasse sie fortan in Ruhe. Da sie mich ebenfalls in Ruhe lassen, kann ich wenigstens ungestört Tagebuch schreiben.

Jann meldet sich, er sei wie geplant in Finisterra angekommen. Gestern hat er es wohl mit über 40 Kilometern selbst nach eigenen Maßstäben ein bisschen übertrieben, aber er wollte halt in drei Tagen dort sein. Hoch zum Kap wollen Melina und er heute nicht mehr, für den Rest des Tages ist ausruhen angesagt. Ich persönlich finde das mehr als gut, dann können wir morgen nämlich zusammen dorthin.

Der Tagesabschluss ist dann auch eher unspektakulär. Ich gönne mir in einer Bar um die Ecke der Herberge eine Portion frittierter Fischbällchen (schmeckt besser, als es sich anhört!) und Pommes. Auch wenn alleine trinken immer irgendwie ein Zeichen von Einsamkeit ist, gehört ein Bier für mich heute doch dazu.

Morgen geht es dann wirklich auf das letzte Stück nach Finisterra, kaum zu glauben. Dass ich in Porto gestartet bin, erscheint mir ewig her. In der Zwischenzeit ist auch dermaßen viel passiert, dass ich ein Mal mehr froh bin, mein Tagebuch geführt zu haben. Der Tag morgen wird großartig, das weiß ich jetzt schon.

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