Countdown zum Kurzcamino

Das vergangene Jahr war in mancherlei Hinsicht nicht einfach. Ich merke mehr und mehr, dass ich kurz vorm Platzen stehe – ich schlafe schlecht, ich bin dünnhäutig und offen gestanden auch des öfteren demotiviert. Der Stress auf der Arbeit trägt da sicherlich einen nicht eben kleinen Teil zu bei. Aber viel schwerer wiegt bei mir zur Zeit das Familiäre. Es ist schwierig, wenn nach dem Tod meines Papas alles zum ersten Mal wieder passiert. Weihnachten, der Jahreswechsel, er hätte vor ein paar Tagen Geburtstag gehabt. Meine Mama ist gerade aus der jetzt viel zu großen Wohnung ausgezogen und wohnt jetzt knapp 600 Kilometer weit weg. Mit ihren inzwischen 70 Jahren ist so ein Umzug auch nicht mehr so einfach. Und da mein Bruder momentan seine eigenen Probleme hat, blieb Vieles an mir hängen. Ich mache das gerne, aber es ist trotzdem belastend. Auch dass sie jetzt so weit weg wohnt und es nicht mehr mal eben möglich ist, vorbeizukommen und auszuhelfen ist nicht eben leicht. Auf jeden Fall wird man sich jetzt seltener sehen. Mir spukt also so einiges im Kopf herum.

So schön meine beiden längeren Wanderungen letztes Jahr auch waren, haben sie mir leider nicht das nachhaltige Entspannungslevel gebracht, dass ich mir erhofft hatte. Ich habe eine lange und irgendwie immer länger werdende Liste mit Wanderwegen, die mir gefallen würden. Anderthalb Wochen Urlaub habe ich mir Ende Mai im Kalender geblockt, inklusive der Wochenenden sind das also 12 Tage am Stück frei. Da fällt Vieles von der Liste schon mal weg. Was aber das absolut und über allem stehende Entscheidende für mich ist:
Ich mag mich nicht um eine irgendwie großartig geartete Reiseplanung kümmern müssen. An- und Abreise buchen, fertig. Außerdem will ich über Tag unabhängig sein, wenn ich also keinen Bock mehr habe, wird’s ein kurzer Tag, wenn ich gut drauf bin, laufe ich halt weiter. Wenn ich zwischendurch was trinken oder essen möchte, will ich nicht am labbrigen Brötchen, dass ich mir vom Frühstücksbuffet gemopst habe, knabbern und dazu lauwarmes Wasser trinken müssen.

Was bleibt da also übrig? Richtig – ein Camino, ein Jakobsweg in Spanien oder Portugal. Herbergen in jedem kleinen Ort, bei denen man nur fragen muss, ob noch ein Bett frei ist. Bars an jeder zweiten Ecke mit café con leche, zumo de naranja, bocadillos, empanadas, … Gott, ich bekomme jetzt schon Hunger! Unterwegs auch mal Menschen treffen, mit ihnen gemeinsam ein Stück weit gehen. Abends mit ihnen zusammen sitzen, dazu vino tinto, Lachen, Musik. Über Tag einfach Gehen, Gehen, Gehen, und mir entweder über alles oder über gar nichts Gedanken machen.

In der Kürze liegt ja bekanntlich die Würze und da ich ihn auch noch nicht kenne, schreit mich der Camino Inglés bei der Auswahl quasi an. Fünf bis sieben entspannte Pilgertage in Galicien über 120 Kilometer. Im Frühling – das wird für mich eine völlig neue Erfahrung, denn bisher war ich zu Fuß auf der iberischen Halbinsel nur im Spätsommer und Herbst unterwegs. Selbst wenn es regnet – Mairegen macht schön 😜

Am 21. Mai geht es mit dem Flieger über Madrid nach A Coruña und von da aus mit der Bummelbahn nach Ferrol. Den Tag darauf starte ich dann ganz gemächlich und spätestens eine Woche später sollte ich in Santiago sein. Vielleicht sehe ich dann endlich mal das blöde Weihrauchfass in Aktion? Aller guten Dinge sind ja bekanntlich drei.

Dazu überlege ich, am Ende noch das Teilstück von Fisterra nach Muxia dranzuhängen. Weil ich’s kann und weil ich diese Strecke bisher ja nur mit dem Bus gefahren bin. Das reizt mich schon, denn landschaftlich ist das wirklich toll und sowohl Fisterra, als auch Muxía sind immer eine Reise wert. Aber das werde ich nach Lust, Laune und Zeit entscheiden. Vielleicht bleibe ich ja auch einfach nur ein paar Tage in Santiago, wer weiß?

Mit meiner Freundin habe ich außerdem den Deal, bis Ende August mein Spanisch so weit aufzupolieren, das sich ein bisschen mehr kann, als nach dem Weg zu fragen und Essen zu bestellen. Ab dann wollen wir nämlich beide in der VHS ein bisschen koordinierter lernen. Da nutze ich den Camino doch glatt auch als Sprachreise 😊

Am liebsten würde ich direkt los!

Bis ich dann irgendwann im Sommer den Inglés verblogge, wird es hier wohl ein bisschen ruhiger sein. Aber wer weiß, bis dahin kann ja auch noch viel passieren.

6 Gedanken zu “Countdown zum Kurzcamino

  1. Wenn ich dir noch ein Bonbon anbieten darf für den Ingles:
    Auf der Strecke hinter Betanzos kommst du in den Ort Cos und von da etwas ab zum Rectoral von Cines.
    Das ist ein ehemaliges Kloster und nun auch gern gebucht als Hochzeitslocation.
    Sie haben nur 12 Zimmer – daher kann eine Anmeldung bei Maria ganz hilfreich sein.

  2. Herbert Bopp – Deutscher Journalist bloggt aus Kanada. Lebt in Montréal, auf Mallorca und im Internet. Mag Kommentare am liebsten per Mail: bloghausmail@herbertbopp.com
    Herbert Bopp

    Du beschreibst deine Vorfreude auf einen Kurz-Camino so eindrucksvoll, dass auch ich am liebsten mein Saecklein schnueren und mich wieder auf den Weg machen moechte. Es vergeht kein Tag, an dem wir nicht laut darueber nachdenken, noch einmal den Camino Frances zu wandern – und zwar nur den, keinen anderen. Die Etappe, die du jetzt anpeilst, waere in der Tat auch fuer mich als 73-Jaehrigen zu stemmen (hoffe ich). Vielleicht hast du mich da ja auf eine Idee gebracht … Danke und schon jetzt Buen Camino! Herby in Montreal

    1. Viel lieber würde ich auch länger pilgern, aber da hat mein Arbeitgeber halt leider ein Wörtchen mitzureden. Also mache ich das Beste draus und freue mich dafür umso mehr 😊

      Merci beaucoup et cordialement à Montréal!

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