23. Mai 2022 – Pontedeume bis Betanzos (ca. 21 km)
Die Nacht war sehr unruhig. Wirklich tief geschlafen habe ich nicht und mich häufig hin- und hergewälzt. Einerseits tut mir mein linkes Knie ein bisschen weh. Mittlerweile bin ich leider in dem Alter, an dem mein Körper mir gerne Mal sagt “Mach das nie, nie wieder!”, aber ich habe den Tag gestern eigentlich ganz prima überstanden. Aber ja, ich werde alt – und hätte gestern wohl besser doch noch eine Ibu einwerfen sollen… Andererseits habe ich seit Stunden Durst, habe aber natürlich vergessen, mir Wasser neben mein Bett zu stellen. Aber durch die dunkle Herberge zu tappsen und dabei auf dem Weg zum Wasserhahn darauf zu bauen, nirgendwo gegen zu laufen oder die Treppe runterzupurzeln? Da habe ich, Depp wie ich bin, versucht, eisern durchzuhalten.
Trotzdem werde ich erst so richtig wach, als die anderen so langsam auch aktiv werden. Um meinen Kreislauf in Schwung zu bringen, habe ich anschließend genug Zeit, denn es gibt nur zwei Waschräume, die gleichzeitig die Dusche beinhalten – und zwei Pilger haben sich überlegt, vor dem Frühstück erst Mal ausgiebig zu duschen. Also mache ich eine dringend notwendige Bestandsaufnahme – und die fällt eher feucht aus. Meine gestern gewaschenen Klamotten? Noch klamm. Aber dafür habe ich ja eine Reserve-Garnitur im Rucksack. Der Rucksack selbst ist ja zum Glück gestern trocken geblieben. Aber meine Schuhe sind immer noch feucht. Die Einlegesohlen hatte ich gestern wohlweislich rausgenommen, wenigstens die sind trocken. Also richte ich mich heute auf ein bis zwei Sockenwechsel ein und die Füße bekommen eine extra dicke Schicht Hirschtalg.
Manchmal muss man da halt auch einfach nur durch
So nebenbei bekomme ich einen Dialog von zwei Pilgern mit, die gerade aufbrechen wollen:
“Regnet es?”
“Nur ein bisschen.”
Prima, denke ich mir. Mit “ein bisschen” kann ich leben. Der Poncho bleibt also griffbereit, aber anziehen muss ich ihn ja vielleicht nicht unbedingt. Allerdings scheint die Definition von “bisschen” international sehr unterschiedlich interpretiert zu werden, denn nach knapp 50 Metern hechte ich unter das nächste Vordach – ohne Regenpelle geht hier gar nichts! Wie heißt es doch gleich? “Mairegen macht schön!” Da kann ich mich ja jetzt prima drauf freuen, alsbald als Sexiest Man Alive gewählt zu werden. Gut, wahrscheinlich würde es, rechne ich den Alters-Malus mit ein, nur zum nächsten Bachelor reichen. Da beende ich meine Model/TV-Karriere also lieber gleich, bevor ich mir so was antun würde.
Heute fängt der richtige Spaß auch gleich direkt an. Noch nicht Mal aus Pontedeume raus, geht es nämlich schon so richtig schön steil bergauf. Rund zwei Kilometer weit hat es rund 10 % Steigung. Ausnahmsweise bin ich froh, dass der Weg hier zunächst asphaltiert ist, denn durch Matsch oder Geröll würde ich mich jetzt gerade nur sehr ungern nach oben quälen wollen. Wobei es auch so schon anstrengend genug ist.
Die Kamera packe ich erst gar nicht erst aus, mir steht bei dem Mistwetter der Sinn überhaupt nicht nach in die Landschaft gucken und fotografieren. Ich setze einfach stur einen Fuß vor den anderen, irgendwann werde ich ja ankommen. Ich muss zwischendurch an eine Szene aus Asterix bei den Briten denken, weil sie so schön zum Thema Regen und dem Inglés passt:
Wenigstens geht es danach fürs erste gemächlich durch den Wald bergab. Es riecht einmal mehr intensiv nach Hustenbonbons, denn hauptsächlich steht hier Eukalyptus. Ich bin ja immer noch der Meinung, man hätte die Koalas auch gleich mit importieren sollen! Ansonsten ist es gerade im Regen aber auch sehr unspektakulär – links Bäume, rechts Bäume, in der Mitte der inzwischen nicht mehr gepflasterte Weg, dazu der Duft. Wobei ich den irgendwann gar nicht mehr richtig wahrnehme. Bisher gab es nirgendwo die Möglichkeit, irgendwie etwas in Richtung Frühstück zu bekommen. Als es über die Autobahn geht und im Anschluss ein kurzes Stück parallel dazu, sehe ich eine Rastanlage. Die Freude währt aber nur kurz, denn dazu müsste ich irgendwie wieder über die Autobahn – oder halt wieder über den Camino zurück und mir auf der anderen Seite einen Weg suchen, aber das will ich mir definitiv nicht antun.
Als es dann zum nächsten steilen Anstieg kommt, sinkt meine Motivation im gleichen Maße, wie ich Höhenmeter nach oben gehe. Nennt es Zufall, nennt es Camino Magic, aber genau als ich oben auf dem zweiten Hügel ankomme, hört es auf zu regnen und rechts neben dem Weg hat eine liebe Seele eine improvisierte Versorgungsstation aufgebaut. Zu meinem Glück braucht es gerade nicht viel mehr, als eine Getränkekiste zum drauf sitzen und etwas Kaltes zu trinken. Ich hätte den Machern echt gerne etwas ins Gästebuch geschrieben, aber das war leider genauso nass wie ich, obwohl es eigentlich gut in Folie verpackt war… Zwar schiebe ich immer noch Kohldampf, aber ein Päckchen Orangensaft und eine Cola, für die ich mehr als angemessen Kleingeld in die bereitliegende Box werfe, holen mich weitestgehend aus meinem kleinen moralischen Tief raus.
Ab hier geht es fast genauso steil runter, wie es eben rauf ging, aber auch wenn es häufig genug der Fall ist, dass man danach doch wieder einen Berg oder Hügel erklimmen muss und man sich fragt, ob es eine Brücke zwischen den beiden Erhebungen nicht auch getan hätte, geht es hier für die kommenden vier bis fünf Kilometer mehr oder minder eben weiter. Bevor ich aber das Flachstück bewältigen darf, komme ich an einem kleinen Pilgerparadies vorbei, das schon von Weitem mit einem unscheinbaren Wandbild auf sich aufmerksam macht. Das ist gleich im Örtchen O Ponte Baixo, in dem die Ponte Baixo über den Río Baixo führt. Ich sag ja, Namen sind hier nicht so das große Ding…
Draußen gibt es mehr als genug Sitzplätze unter einem großen Zeltdach, die Kiesfläche davor bietet bei schönem Wetter noch drei Mal so viel Platz, angrenzend ist eine große Wiese, auf der gezeltet werden kann. Aber das Beste ist der kleine Laden – ein winziger Raum mit einer winzigen Tür, bei der ich mich ordentlich bücken muss, um nicht gegen den Türsturz zu donnern. Drinnen ist alles vollgestellt mit Kaffeemaschine, Kühlschrank, Snacks, Obst, Souvenirs und – da läuft mir auch beim Schreiben Wochen später noch das Wasser im Mund zusammen – einem Regal mit bestimmt einem Dutzend frischer, selbst gebackener Kuchen! Hat sich was mit Bocadillo, Tostado oder vielleicht einem Schokocroissant – die Entscheidung für gleich zwei Stückchen Kuchen fälle ich spontan. Bei Käsekuchen kann ich einfach nicht anders 🤤 Die Besitzerin ist zudem absolut herzig. Der einzige Nachteil, so man denn pingelig sein will, ist, dass gleich gegenüber ein Werk für Betonformteile ist. Das ist schon ein bisschen hässlich, macht aber wenigstens keinen Lärm und man kann ja woanders hinschauen.
Zusammen mit meinen Kuchen und dazu dem obligatorischen Café con leche und einem frischgepressten O-Saft breite ich mich jedenfalls gemütlich auf und neben einem der Tische aus und pausiere ausgiebig. Bespaßt werden ich und ein paar andere Pilger durch einen kleinen Hund. Also wirklich klein. Winzig. Ich kann nicht mal sicher sagen, ob das ein Welpe war oder doch schon ein ausgewachsener Hund, eine handvoll Hund eben. Farblich auf der weiß-bräunlichen Kiesfläche perfekt getarnt, daher hatte ich ihn zuerst auch gar nicht gesehen. Das ganze bisschen Hund vom Kopf bis zu den Pfoten in Naturlocken gehüllt. Vielleicht ein Mischling mit einem ordentlichen Schuss Pudel? Das Wollknäuel titscht die ganze Zeit von links nach quer und hat Spaß am Leben. Manchmal könnte man doch leben, wie ein Hund 😄
Bevor es weitergeht, widme ich mich noch meinen Füßen, will sagen: Schuhe aus, Socken wechseln, Einschmieren. Es ist zwar nicht halb so schlimm, wie gestern, aber auf Dauer sind nasse Füße halt doch sehr unangenehm.
Camino Magic
Da ich gestern – und das mache ich sonst nie, keine Ahnung weshalb dieses Mal – ein paar Fotos in meinem WhatsApp-Status gepostet habe, erreicht mich zwischendurch eine Nachfrage von Doro. Seit unserem (teil-)gemeinsamen Caminho Português 2020 sind wir immer Mal wieder lose in Kontakt. Natürlich möchte sie wissen, auf welchem Camino ich denn diesmal abhänge. Witzig, denn es stellt sich heraus, dass sie fast auf den Tag genau vor einem Jahr auch auf dem Inglés war. Daher warnt sie mich schon Mal vor, dass man beim Abstieg nach Betanzos fies steil über Kopfsteinpflaster muss. Nebenbei motze ich noch ein bisschen über den galicischen Regen, werde auf die Weise noch ein bisschen Frust los und freue mich, dass hier gerade jemand an mich denkt.
Durch Miño, das nächstgrößeres Städtchen, geht es zwar quer durch, der Ort ist aber so langgezogen, dass man davon nicht viel mitbekommt. Es geht für ein paar Minuten an der Hauptstraße lang, aber es gibt dort weder Bar, Restaurant, Eisdiele oder Pommesbude, die geöffnet wären. Von daher halte ich mich gar nicht groß auf, und schlängele mich kurz zwischen parkenden Autos durch und über die Straße, dann geht es auch schon rechts ab und es wird wieder grün. An dieser Abzweigung sitzen meine gestern schon erwähnten flüchtigen Bekanntschaften (der Einfachheit halber heißen sie ab jetzt bei mir “Julio & Julio”) auf einer Bank und dösen, als ich an ihnen vorbei husche. Keine 50 Meter weiter gibt es dann eine bunte Brücke ins Nichts. Die führte bestimmt Mal über die hier parallel zum Camino verlaufende Bahnstrecke, da sie aber jetzt mittendrin, also auf der Hälfte, einfach aufhört, erfüllt sie diese Funktion heute jedenfalls nicht mehr. Im Pilgerführer steht etwas von einem Aussichtspunkt über die Ría, aber von allen Seiten steht das Grün so satt und dicht, da kann man sich derzeit nur diverse Blätter aus der Nähe anschauen.
Eher unspektakulär geht es weiter bis A Ponte de Porco, wo es außer einem Spielplatz und einem Denkmal nicht wirklich etwas Erwähnenswertes gibt. Wobei doch: Überraschenderweise heißt das zugehörige Flüsschen hier nicht Río Porco oder etwas ansatzweise ähnliches, sondern Río Lambre. Den Spielplatz lasse ich links bzw. vielmehr rechts liegen, weil ich zu faul bin, meinen Rucksack abzusetzen. So im Nachhinein wäre ein Viertelstündchen schaukeln schon toll gewesen 🤓 Noch toller wäre jetzt ein Kaffee, aber man kann halt nicht alles haben…
Was das Denkmal angeht, das ist an sich ein wenig verwittert. Das macht es nicht einfacher zu erraten, was es darstellen soll. Mit ein bisschen Mühe erkennt man, dass das Tier, das auf einem Sockel steht und auf dessen Rücken ein Kreuz thront, ein Schwein darstellt. Das begegnet einem hier in der Gegend des Öfteren. Genau gesagt ist das Schwein ein Eber und eben jener war vor einigen Jahrhunderten Wappentier eines Grafen von und zu Irgendwas, der hier einige Kirchen und Kapellen gestiftet hat. Warum auch immer, bei mir bleibt nur hängen “Das Schwein hat Rücken!”
Was dann folgt, ist für mich persönlich absolut nicht schön. Der nächste Anstieg ist kurz, heftig, steil und ätzend. Keine Ahnung warum, aber auch wenn der Buckel noch nicht Mal allzu hoch ist, er macht mich fertig. Ich schnaufe schlimmer, als jede Dampflok und werde gefühlt mit jedem Schritt langsamer. Viñas wird nur gestreift, ich bin aber mittlerweile so weit, dass ich für eine längere Verpflegungspause auch einen Umweg in Kauf nehmen würde. Warum bitteschön habe ich denn heute nichts eingepackt? Ich habe schließlich sonst auch immer eine Tüte Nüsse, einen Müsliriegel, einen Apfel oder eine Orange im Rucksack. Das Zeug schleppe ich in der Regel unangetastet mit mir rum, aber klar – wenn ich wirklich Mal etwas Zucker bräuchte, hab ich nix dabei. Ausnahmsweise konsultiere ich die digitale Karte auf meinem Handy, die mir mitteilt, dass es hier eigentlich gar nichts gibt. Also schnaufe ich zwischendurch alle paar Minuten durch und kämpfe mich tapfer weiter. Wenigstens wird das Wetter besser, ich bin fast geneigt, zu sagen, es wird langsam schön.
Der längste, aber zum Glück auch letzte Anstieg des Tages steht mir aber noch bevor. Langsam, aber immerhin stetig, geht es Meter um Meter voran und gleichzeitig nach oben. Vor mir sehe ich drei Pilger, denen es offensichtlich aber auch nicht besser geht, als mir. Eine der drei Gestalten bleibt ebenfalls zwischendurch stehen und fällt ein wenig zurück, während ich zu ihr immer weiter aufhole. Tja… Und dann schlägt das Schicksal zu, diesmal ist es wirklich Camino Magic, ich bekomme exakt das, was ich brauche. Denn die Gestalt dreht sich um, sieht mich, wie ich mich einmal mehr keuchend auf meine Stöcke stütze und…:
“¡Vamos, vamos!”
Die Bühne betritt von rechts: Anselma, 66 Jahre jung aus der wunderschönen Stadt León, irre gesprächig, ab sofort die gute Seele meines Camino und irgendwie die liebevolle Granny aller anderen Pilger um mich herum. Auch wenn ich ihr mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln versuche, klarzumachen, dass ich nicht wirklich gut Spanisch spreche, sondern im Gegenteil noch am lernen bin und sie bitte, etwas langsamer zu sprechen, gegen den Wasserfall komme ich nicht an. Wobei es meiner Erfahrung nach ohnehin eigentlich keinen Spanier gibt, der überhaupt langsam sprechen kann. Das höchste der Gefühle ist eigentlich, dass sie einfach nur lauter sprechen, sobald sie merken, dass man sie nicht versteht.* Anselma hingegen erhöht einfach ihren Output, frei nach dem Motto “Er versteht nur 30 %, wenn ich also drei Mal mehr rede, kommt das ja gut hin.” Nun ist das bei mir eine ganz klare Abfolge – lesen geht am besten, Gesprochenes verstehen (wenn deutlich gesprochen wird) klappt so lala und selbst sprechen… Naja, dafür fehlt mir auch die Praxis. Es ist da schon echt vorteilhaft, dass Anselma dialektfreies Castellano, also das eigentliche (Schul-)Spanisch, spricht und dass ich sowieso nicht in den Verdacht komme, selbst das Wort ergreifen zu können 🤣 Jedenfalls hat Anselma mich jetzt offenbar adoptiert und zumindest ich habe jetzt eine Menge Spaß.
Gemeinsam erklimmen wir den Rest des Hügels und oben angekommen kenne ich bereits ihre Familiengeschichte und bekomme Bilder ihrer Kinder gezeigt. Wichtigste Info: Ihr ältester Sohn – ein Jahr jünger, als ich – heiratet in zehn Tagen, da muss sie wieder zu Hause sein. Das sollte machbar sein, zumal sie hier ihren fünften Camino pilgert und damit wohl weiß, was sie tut. Je ein Mal waren es der Francés und Português, jetzt ist es ihr dritter Inglés. Wie der Zufall es will, war sie es, die heute in der Früh das “bisschen” Regen angesagt hat. Anselma ist nämlich weit und breit die einzige in einem schweinchenrosafarbenen Regenmantel, da ist sie kaum zu übersehen und noch weniger zu verwechseln. Eine Wetterfee ist sie allerdings nicht, wie es scheint.
Quatschender- bzw. größtenteils zuhörenderweise pilgern wir als Duo durch eine richtig tolle galicische Landschaft. Es geht sanft auf und ab, sodass wir endlich wieder einigermaßen voran kommen. Es geht vorbei an einem alten, recht fotogenen Brunnen, bis wir irgendwann neben der Kirche San Martin de Tiobre stehen. Selbstredend ist die Kirche verschlossen, aber mit den großen, alten Bäumen davor und den Sitzbänken auf der anderen Straßenseite, kann man hier schon Mal Pause machen. Ich nutze die Gelegenheit auch dazu, mich noch mal frisch zu machen, denn an der Friedhofsmauer gibt es einen Wasserhahn und da halte ich spontan meinen Kopf drunter. Als Anselma und ich wieder aufbrechen, trudeln gerade Julio & Julio ein. Wie immer wird herzlich gegrüßt und schon ziehe ich von dannen.
Schlussspurt zum Auslaufen
Bis Betanzos geht es von hier aus nur noch bergab. Zumindest, was den Weg angeht, die Stimmung bleibt konstant hoch. Ich hatte schon die Hoffnung, dass Doros Warnung ins Leere läuft, da das Gefälle wirklich ordentlich ist, es aber von Kopfsteinpflaster keine Spur hat. Vor allem, da die Straße abschnittsweise vor offenbar gar nicht allzu langer Zeit neu asphaltiert wurde. Aber leider behält sie recht – auch wenn es nur die letzten paar hundert Meter sind, alle Pilger um mich herum und auch ich gehen in mini-Trippelschritten immer schön diagonal nach unten, immer darauf bedacht, auf dem Pflaster nicht auszurutschen. Gut, dass es jetzt schon länger nicht mehr regnet, so ist die Straße zwar noch feucht, aber wenigstens halbwegs griffig.
In Betanzos angekommen, ist die öffentliche Herberge schnell gefunden und das Erste, was ich mache ist, gleich am Eingang meinen Rucksack in die Ecke zu stellen und mich auf den nächsten Stuhl fallen zu lassen. Auf dem bleibe ich auch erst Mal sitzen, bis Anselma und noch eine weitere Pilgerin vor mir mit ihrem Check-In fertig sind. Um 8€ erleichtert, dafür um einen Stempel reicher, schlurfe ich dann in Richtung des mir zugewiesenen Bettes. Im zweiten Stock. Ein oberes Etagenbett. Ersteres ist ja bei mir schon fast regelmäßig Programm, zweiteres werde ich wohl auch überleben und auch nicht mitten in der Nacht rausfallen.
Wo kommen denn bitteschön die ganzen Leute her? Der Schlafsaal ist jedenfalls schon gut belegt. Überholt hat mich so gut wie niemand. Es sind aber auch wieder etliche Gesichter dabei, die ich vorher noch nie gesehen habe. Aber egal – ich habe mein Bett und abgesehen von der jetzt dringend notwendigen und noch viel dringender herbeigesehnter Dusche:
*Trommelwirbel*
Es gibt Waschmaschine und Trockner! Das sind für heute Abend meine beiden besten Freunde. Ich verstehe zwar nicht, weshalb manch eine(r) die Geräte für ein Paar Socken, ein Shirt und eine Unterhose belegt und sich nicht mit anderen zusammentut, um die Warteschlange vor den Geräten zu verkürzen. Ich schmeiße alles Zeug von gestern und heute in einen Wäschekorb, packe noch den Kram zweier weiterer Pilger dazu und reihe die Ladung Wäsche an dritter Warteposition ein. Das Schöne ist, wenn man gemeinschaftlich die Geräte nutzt ist ja auch, dass mehrere Leute ein Auge darauf haben, wann man an der Reihe ist bzw. wann das Zeug fertig ist. Ich kann mich also in der Zwischenzeit meinen feuchten, aber interessanterweise trotz des Regens nicht noch nasser gewordenen Schuhen widmen und dann ganz in Ruhe unter die Dusche.
Ohne Rucksack fällt mit die obligatorische kleine Besichtigungstour am Nachmittag wie immer deutlich leichter. Draußen strahlt inzwischen die Sonne, da macht das auch richtig Spaß. Vor allem finde ich gleich an der Praza de Constitución eine Bar, die keine Siesta hält und in der ich es mir für die nächste Stunde gutgehen lasse. Betanzos ist wirklich ein kleines, feines Städtchen.
Da es noch viel zu früh für ein Abendessen ist, lege ich mich zurück in der Herberge auf mein Bett und döse ein Weilchen. Irgendwann schnappe ich mir dann mein Tagebuch, setze mich in den Aufenthaltsraum und bringe meine Gedanken zu Papier. Zwischendurch nehme ich meine frisch gewaschene, jetzt deutlich besser duftende und sogar noch warme Kleidung in Empfang. Als ich dann doch irgendwann für ein Abendessen noch Mal losziehe, will ich eigentlich in Richtung “Kneipenviertel”, lande aber zufällig in einer total unscheinbaren Bar in einer Nebenstraße. Es sitzen ganz viele Einheimische hier, das kann also nicht verkehrt sein. Auf der Karte stehen Tapas – da brauche ich also nicht allzu lange überlegen.
Nach dem Essen sehe ich aber trotzdem zu, dass ich möglichst zügig in mein Bett komme. Es ist zwar noch recht früh, aber ich bin einigermaßen kaputt. Auch wenn ich nicht gleich schlafe, aber ein bisschen Musik hören und im Pilgerführer einen Blick auf den Tag morgen werfen, das ist im Liegen auch schon Entspannung pur.
Das mit dem Schlaf ist dann eine Sache für sich. Aber das lasse ich als Cliffhanger für den nächsten Beitrag einfach Mal so stehen 😉
*: Das ist natürlich komplett überspitzt. Fast ohne Ausnahme wird irgendwie versucht, sich verständlich zu machen, die meisten haben vollstes Verständnis dafür, dass man die fremde Sprache nicht oder nur wenig spricht und viele sprechen selbstredend mindestens ein bisschen Englisch. Irgendwie kommt man halt immer zusammen.
Du schaffst es immer wieder, Deinen Pilgertag so zu erzählen, dass man sich so fühlt, als wäre man dabei gewesen. Einfach herrlich, lieber Stefan, mit allen Höhen und Tiefen, die dazu gehören.
Danke, danke, danke 🤗
So ein kleines bisschen schreibe ich das ja alles für mich selbst auf, so als Gedächtnisstütze – ich bin schließlich offiziell alt und vergesse immer gleich alles (O-Ton meines frechen Patenkindes 😆). Aber im Ernst, beim Schreiben gehe ich den Weg im Geiste noch Mal nach, das macht mir einfach unheimlich Spaß.