09. Juli 2023 – Lech/Arlberg – Steeg (ca. 25 km)
Beginnen wir heute doch Mal damit, was die Tour auf dem Papier verspricht. Natürlich abgesehen von den 25 Komma ein bisschen Kilometern, die mich nicht unbedingt vom Hocker hauen. Gegenüber gestern sollte es deutlich weniger steinig werden. Der Startpunkt der heutigen Tour, d.h. Lech, liegt auf 1.450 Höhenmetern, Warth, etwa auf halber Strecke, auf 1.490 Höhenmetern. Ich folge nach wie vor einem Flusslauf. Läuft, oder? Nun ja. Alleine auf diesem Stück gilt es, gut 600 Höhenmeter zu überwinden, bis zum Zielort, Steeg, noch einmal rund 450. …und die sind leider nicht gleichmäßig verteilt.
Stark
Ich werde heute in aller Herrgottsfrühe wach, fühle mich aber trotzdem ausgeschlafen. Hat schon Vorteile, wenn man am Abend vorher recht früh einschläft und anschließend pennt wie ein Stein. Daher habe ich jetzt alle Zeit der Welt, meinen Rucksack zu packen, ebenso mein Köfferchen, das ich auf dem Weg zum Frühstück an der Rezeption abgebe. Im besten Fall erwartet mich mein Reisegefährte dann in meiner nächsten Unterkunft. Mich selbst mache ich natürlich auch parat, aber noch nicht komplett, denn ich hüpfe noch Mal aufs Bett, ein bisschen Frühstücksfernsehen schauen und vor allem einen Blick auf den Wetterbericht werfen. Fürs Frühstück ab 7:30 Uhr bin ich nämlich noch zu früh dran.
Mich erwarten heute wieder Sonne, Sonne und Sonne. Es soll gegenüber gestern glatt noch Mal zwei °C zulegen. Ich überlege stark, noch einen Extraliter Wasser einzupacken. Aber heute gibt es auf ungefähr halber Strecke in Warth die Möglichkeit zur Einkehr, da reicht das, was ich dabei habe. Zumal ich die große Hoffnung habe, dass der eine oder andere Baum Schatten spendiert. Wind kann ich bis auf Weiteres vergessen, das Hochdruckgebiet über Mitteleuropa ist extrem stabil, erst in zwei, drei Tagen ist mit Wetteränderung und damit zumindest ein bisschen Wind zu rechnen. Also werde ich mir selbst Luft zuwedeln müssen, um ein bisschen Abkühlung zu erfahren.
Nach dem Frühstück sehe ich dann aber zu, dass ich zügig loskomme. Ich will nicht den ganzen Morgen vertrödeln und dann umso länger in der Nachmittagshitze unterwegs sein müssen. Vom Hotel aus muss ich zuerst wieder runter an den Fluss. Ich weiß nur, dass ich dann irgendwann rechts abbiegen muss, so genau hatte ich mir das noch nicht angeschaut.
Das Wegzeichen ist schnell gefunden, es geht nicht nur rechts ab, sondern auch den Berg hoch. So früh am Morgen ist das vor allem bei gemäßigter Steigung machbar – und dass man zum Aufwärmen gleich Mal irgendwo hochgeschickt wird, scheint eine weltweit anerkannte Methode beim Anlegen von Wanderwegen zu sein 😅 In dem Fall ist es auch sinnvoll und nachvollziehbar, denn wenn man nicht direkt an der Straße langlaufen möchte, bleibt nur die Möglichkeit eines Parallelweges. Wenn die Straße in der Talsohle verläuft ergibt sich da zwangsläufig, dass diese Parallele ein paar Höhenmeter weiter oben verlaufen muss. Das bietet einerseits eine nette Aussicht zurück auf Lech und andererseits geht es von hier aus erst einmal zumindest grob, d.h. mit nur wenig auf und ab, auf einer Höhenlinie weiter.
Abgesehen von der Aussicht ist die Landschaft ein toller Mix aus Albwiesen und kleinen Waldstücken. Ich komme richtig gut voran und es macht Laune.
Schwächeln
Es gibt hier unheimlich viele Schmetterlinge. Die meisten wollen sich nicht fotografieren lassen, aber ich schwöre, ich habe sogar zwei Schwalbenschwänze gesehen! Ein anderer Teil der hiesigen Insektenpopulation macht überhaupt keinen Spaß – es wimmelt hier nämlich von Bremsen! Die Viecher sind ziemlich aggro unterwegs und zerstechen mir meine Beine. Ab und an erwische ich eine, was dazu führt, dass meine Waden komplett blutverschmiert sind. Ich opfere zwischendurch ein wenig meines Wasservorrats und wasche kurz drüber, sieht ja sonst aus wie das Kettensägemassaker. Autan hilft nur kurzzeitig, durch die Hitze schwitze ich so sehr, dass das Zeug zu schnell abgewaschen wird. Eine lange Hose, ich hätte eine dabei, kommt bei den aktuellen Temperaturen auch nicht in Frage. Selbst meine Socken so weit wie möglich hochzuziehen hilft nichts, die Biester stechen da einfach durch. Heute und die kommenden Tage ist das zwar in Summe lästig, wobei die Stiche manchmal auch ordentlich zwicken, aber der richtige Spaß fängt erst an, als ich wieder zu Hause bin. Denn solange ich hier auf dem Lechweg tagsüber in der Sonne unterwegs bin und es sehr warm bis heiß ist, jucken die Dinger nicht. Das kommt dann erst mit Verzögerung und bereitet mir dann noch eine Woche Spaß. So ein kleines Gerät, dass man auf den Stich hält und dann Hitze erzeugt, wirkt übrigens Wunder. Bremsenstiche hinterlassen auch nette, nicht eben kleine Blutergüsse. Optisch nicht unbedingt ansprechend…
Positiv ist definitiv, dass die Umgebung schlicht schön ist und vor allem ab und zu auch Schatten spendet. Aber es ist einfach zu heiß. Viel zu heiß. Ich komme aber immerhin gut voran, der Weg ist zwar zeitweise sehr wurzelig, aber meistens komme ich wirklich gut voran.
Ich schaue zwar nicht alle paar Minuten auf die Karte, aber mein Bauchgefühl sagt mir, dass ich den Hügel, den ich vor mir sehe, hoch muss. Drumherum komme ich auch mangels Weg kaum. Es ist aber wesentlich weniger anstrengend, als ich das erwartet habe. Dumm nur, dass ich, nachdem ich oben angekommen bin und doch einen Blick auf die Karte werfe, feststelle: Das war noch gar nicht der eigentliche Anstieg! Der kommt erst noch… Das ist dann schon ein anderes Kaliber, ich schnaufe, käuche und ächze, aber irgendwann bin ich – mit zwei kleineren Päuschen, um wieder zu Atem zu kommen, dann doch oben. Wenn ich das richtig in Erinnerung habe, war das der erste – und leider kleinste – Streich, zwei weitere kommen noch.
Ab hier gibt der Weg dann wieder alles bzw. er wirft mir alles vor die Füße, was geht. Steine, Wurzeln, auch ein sehr enger, ausgetretenes Stück, bei dem ich mich an den links neben mir wachsenden Bäumen und Sträuchern festhalten muss, ist dabei. Gerne würde ich berichten, ich hätte mich wie Indiana Jones an seiner Peitsche von einer Seite zur anderen geschwungen und sähe dabei cool aus. Aber die Realität meiner Performance ist eher Dunderklumpen mit Plattfüßen.
Als ich endlich Warth erreiche, bin ich komplett platt. Mein erster Impuls ist, direkt zur Bushaltestelle zu gehen und keinen Schritt mehr zu tun. Aber ich biege doch vorher noch ab und setze mich, passend zur Mittagszeit, auf die Terrasse eines der Hotels unter einen Sonnenschirm. Ich bin froh, den Rucksack los zu sein und die Schuhe zumindest Mal aufmachen zu können. Die ganz auszuziehen, möchte ich den anderen Gästen dann doch nicht zumuten. Für den Wohlfühlfaktor gibt es erst ein eiskaltes aber alkoholfreies Weizenbier, und, weil mich die Auslage so anlacht, kurz darauf eine große Tasse Kaffee und ein Stück Marillenkuchen. Das füllt Energiespeicher und Motivation wieder ein wenig auf und die Idee mit dem Bus ist schnell passé.
Schwach
In Warth geht es am urigen Walserhus vorbei, danach muss ich erst in das Tal eines durch einen namenlosen Bach eingeschnittenen Tals hinab, um auf der anderen Seite wieder hochzukraxeln. Bis hierher verlief die heutige Etappe im Wesentlichen von Südwest nach Nordost, ab jetzt ist es West-Ost, die Sonne habe ich also von hier an fast durchgängig zu meiner Rechten.
Ich habe sonst keinerlei Probleme mit Heuschnupfen. Aber die Warther Bauern sind gerade sehr fleißig und mähen ihre Wiesen, in den Steillagen auch gerne mit der Sense. Die Luft ist voller Staub, der meine Schleimhäute anschwellen lässt, ich bekomme zwischendurch nur schlecht Luft und der Druckausgleich der Ohren funktioniert nur leidlich, sodass ich regelmäßig manuell nachhelfen muss. Dazu bin ich offenbar in ein weiteres Bremsen-Territorium geraten. Ich habe so richtig Antispaß.
Nebenfakt: Irgendwo hier überschreite ich die Grenze von Vorarlberg nach Tirol. Die Staatsgrenze zu Deutschland ist hier auch nur wenige hundert Meter entfernt, allerdings geht es in die Richtung recht steil bergauf.
Gar nicht so weit hinter Warth muss ich einfach noch einmal Pause machen, ich kann gar nicht so viel trinken, wie ich schwitze. Dazu kommt, dass ich inzwischen eeeeeelend langsam unterwegs bin. Ich bin weit von meinem gewohnten Wandertempo weg, inzwischen schlurfe ich nurmehr vor mich hin.
Dazu kommt, dass ich mich durch die Wegweiser einigermaßen verschaukelt vorkomme. Auf allen steht:
Steeg 10
Was soll das also schon groß anderes sein, als die Kilometerangabe? Das kommt mit einem Blick auf die Karte auch relativ gut hin. Es gibt andere Varianten, da steht eine klare Zeitangabe in Stunden und Minuten drauf, aber hier nichts, zumal 10 Minuten bis Steeg auch Blödsinn wären. Nur steht das auf dem nächsten Schild auch. Und auf dem übernächsten. Und auf dem überübernächsten. Und so weiter. Ich könnte ja nachvollziehen, wenn z.B. zwei Wegpaten in ihrem Bereich nicht so ganz genau nachgemessen haben und es da ein wenig “Unschärfe” gibt. Aber das hier ist albern – und fördert auch nicht eben meine ohnehin schon nicht mehr allzu ausgeprägte Motivation. Dass es sich bei der Angabe auf den Schildern auch nicht um irgendwelche Kilometer handelt, sondern schlicht die Nummer des Wanderwegs ist, habe ich mir an anderer Stelle selbst erschlossen, als irgendwo eine “58” stand, der Ort aber schon in Sichtweite war. Dass die 10 hier so gut zu den Kilometern passt, ist reiner Zufall.
Inzwischen ist es 15 Uhr und dank der wenig informativen Wegweiser weiß ich nicht, wie weit es wirklich noch bis Steeg ist. Was ich aber weiß ist, dass ich vor dem letzten Anstieg des Tages stehe. Ich weiß auch, dass es danach recht steil und lang bis Steeg bergab geht. …und ich weiß auch, dass ich mir das heute nicht mehr antun werde. Ich bin durch. Die Sonne brennt nach wie vor erbarmungslos und ich kann von hier aus die Kapelle Lechleiten sehen, an der ich auf dem Lechweg vorbeikäme. Ich sehe aber vor allem, dass es bis dahin eines ausnahmslos nicht gibt: Schatten. Ich stehe am Fuße des Anstiegs auf einer Kreuzung und weiß ehrlich gesagt nicht, was ich machen soll. Ich will da jetzt einfach nicht mehr hoch!
Sei es Zufall oder Schicksal, ich schaue auf die Karte und stelle fest, dass es quasi um die Ecke, nur rund einen halben Kilometer weiter – und bergab! – eine Bushaltestelle gibt. Der Entschluss zum Feierabend ist schnell gefasst, da brauch ich jetzt gar nicht mehr lange überlegen und ich habe auch kein schlechtes Gewissen deswegen. Gerade als ich an der Haltestelle ankomme und auf dem Plan schauen will, wann der nächste Bus kommt, biegt eben dieser gerade ums Eck. Das nehme ich als Zeichen, alles richtig gemacht zu haben. Lieber cheate ich, als mit Hitzschlag im Krankenhaus zu liegen.
Von der Haltestelle Steeg Dorf schaffe ich die rund hundert Meter zu meinem Hotel gerade eben so und bin froh, den Check-In schnell hinter mich bringen zu können. Mein Koffer ist auch heil angekommen, wenn ich nicht so fertig wäre, gäbe es Jubelstürme. Ich kann aber gerade an nichts anderes mehr denken, als an eine heiße Dusche und mich danach bis zum Abendessen lang auf dem Bett auszustrecken und mich möglichst nicht mehr zu bewegen.
Gut, letzteres habe ich schnell wieder gestrichen, als ich gesehen habe, dass mein Hotelzimmer einen schattigen Balkon hat, auf dem ein Liegestuhl steht 😎
Zwischenfazit
Die Etappe von Lech nach Steeg wird aufgrund ihrer Länge als “schwer” kategorisiert. Das kann ich so nicht unterschreiben, denn unter anderen Umständen, also bei gut 10°C weniger, gerne auch bewölkt, ist sie allemal zu schaffen. Die rund 1.000 Höhenmeter sind das, was sie so schwer macht. Aber selbst die sind bei passendem Wetter absolut machbar, dazu muss man noch nicht einmal so sehr fit sein. In der Kombination aus Länge, Höhenmetern und insbesondere der Hitze war das heute für mich definitiv zu viel und ich schäme mich nicht zu sagen, dass wenn ich den Weg noch einmal gehen sollte, ich dieses Teilstück anders aufteilen würde. Lech bis Warth ist eine schöne Strecke. Am nächsten Tag dann weiter bis Holzgau, Schönach oder Stockau. Dann wird der Weg halt einen Tag länger, so what?
Gegen die Bremsen kann ich leider kein Mittel empfehlen, da hieß es auf Nachfrage nur, da müsse man halt leider durch…
Hallo Stefan, ich habe gerade deinen Bericht zur 2. Etappe genossen. Auch bei meiner Tour im Jahre 2014 war es sehr heiß?. Da ich erst an der Bodenalpe gestartet bin hatte ich ca. 4 km weniger. Auch ich bin nicht ganz bis nach Steeg gelaufen, sondern habe den Weg zwischen Lechleiten und Steeg verlassen und bin mit dem Bus bis nach Steeg -Dickenau gefahren. An eine Bremsenplage kann ich mich nicht erinnern.
Bin mal gespannt, wie Du die dritte Etappe hinter Dich gebracht hast. Die fand ich noch schwerer.
PS: Warum ich als Kommentator einmal mit anfangpress und dann Bernd Jochum benannt werde ist mir schleierhaft.