10. Juli 2023 – Steeg – Elbigenalp (ca. 21 km)
Soooo, nachdem mir meine Arbeit und netterweise auch noch ein bisschen Urlaub schwer in meinen ohnehin flexibel gehaltenen “Schreibplan” reingegrätscht haben, geht es jetzt endlich weiter. Für alle, die es schon wieder vergessen haben zur Erinnerung: Ich bin in Österreich auf dem Lechweg unterwegs 😉
Nach einer wirklich, wirklich erholsamen Nacht werde ich früh wach und habe vor dem Frühstück sogar noch ein bisschen Luft, mir mein Buch zu schnappen und mich in dem Liegestuhl auf meinem Balkon zu fläzen. Auch ohne den Wetterbericht gesehen zu haben, merke ich jetzt schon, dass es wieder ein mächtig warmer, um nicht zu sagen: heißer, Tag wird. Aber Ich nehme es locker, auch wenn ich eigentlich schon gerne los möchte , um dann nach den ersten paar Kilometern irgendwo einzukehren. Wie schon in den ersten beiden Hotels in Lech und in Steeg, gibt es auch hier Frühstück erst ab 07:30 Uhr. Das ausfallen zu lassen, ist auch keine Option, denn unterwegs etwas zu bekommen, ist sicherlich machbar, aber mitunter nur, wenn man längere Umwege in Kauf nimmt oder direkt an der Straße wandert.
Ich weiß allerdings jetzt schon, dass ich heute eine Abkürzung nehmen werde, ich möchte nämlich über die Hängebrücke Holzgau gehen. Aber dazu später dann mehr.
Bodenständig
Der Anfang der heutigen Etappe ist etwas für Genießer. Für gemütliche Genießer. Es geht schön eben am Lech entlang, später ein bisschen abseits vom Fluss, immer leicht gewellt über Wiesen und kleine Waldstücke.
Im Grunde wandern sich die ersten Kilometer recht ereignislos, sehr erholsam. Ich bin alleine mit mir und meinen Gedanken, was aktuell aber nicht negativ ist, und die Umgebung ist wirklich schön. Selbstredend führt der Weg um die paar versprengten Örtchen in der Regel herum, anstatt hindurch. Aber deren Infrastruktur wäre ohnehin nicht auf Wanderer ausgelegt – was ich in dem Fall aber auch gut finde, denn so bewahren sie sich ihren urigen Charakter. Ich habe alles dabei, was ich benötige und komme daher auch so gut zurecht. Auch wenn zwischendurch ein Käffchen nicht schlecht wäre.
Wäre ich nicht erst seit kurzem unterwegs, würde ich auch glatt Kneippen gehen. die Anlage schaut richtig schick aus und wird von abgezweigtem Lechwasser durchspült. Das schaut schon kalt aus! Aber der Tag wird leider noch lang und je länger er wird, desto heißer wird er natürlich auch wieder. Also bleiben die Schuhe an.
Die Geröll- und Schutthaufen, also die Stellen, an denen sich namenlose Wasserläufe bei Regen ihren Weg ins Tal bahnen gibt es alle paar hundert Meter. Hier ist dann eine Urgewalt am Werk, die so ziemlich alles mit sich reißt. Starkregen oder gar ein Unwetter möchte ich hier wirklich nicht erleben.
Bis Holzgau geht es dann so unspektakulär schön weiter. Abgesehen von einer Kuh, die mitten im Wald neben dem Weg steht. Einfach so. Erst ist das ein bisschen irritierend, bis man sich daran erinnert, doch vor einiger Zeit ein Viehgatter passiert zu haben. Dann ist das schon eher nicht mehr so ungewöhnlich.
Bodenlos
Im Ort angekommen werfe ich dann einen Blick auf die Wanderkarte. Denn ich weiß, dass ich für die Brücke irgendwann vom ausgeschilderten Lechweg abbiegen muss. Auch wenn an vielen Stellen steht, er würde über die Brücke führen – das tut er nicht! Auf dem Lechweg ginge es unter der Brücke hindurch, das Seitental bis zum Simmswasserfall hoch und auf der anderen Seite wieder zurück. Auf der Karte schaut es so aus, als ob man ganz normal dem Lechweg folgt und dann einfach rechts über die Brücke abkürzt. Als ich schon fast unter der Brücke stehe – und die ist reichlich hundert Meter über mir! – schwant mir, dass das so irgendwie nicht sein kann. Ich schaue also noch einmal auf die Karte. Ja sicher, die beiden Wege kreuzen sich. Aber dass hier der eine oder andere Höhenmeter dazwischen liegt, das zeigt mir zumindest diese Karte nicht. Mit diesem Wissen wird dann aber schnell klar, dass ich ein Stück zurück , dort auf ein Nebensträßchen abbiegen und dann mit einer ziemlichen Steigung hoch zur Brücke muss.
…und diese Steigung hat es echt in sich! Dass eine munter lärmende Pfadfindergruppe locker flockig an mir vorbeizieht, motiviert auch nicht eben gerade. Ein bisschen Schatten wäre jetzt auch nicht schlecht. Nach etwa zwei Dritteln steht eine kleine Hütte mir Aussichtsbank – ich wollte eh so langsam Pause machen, die kann ich auch jetzt gleich und hier röchelnderweise machen. Abkürzung gut und schön, aber die Berge hoch muss man trotzdem und die sind dann halt leider umso steiler…
Oben an der Brücke angekommen, halte ich mich dann aber erst einmal zurück. Die Pfadfinder sind gerade auf der Brücke und finden es trotz aller Verbote super witzig, die Brücke zum Schaukeln zu bringen. Deren Betreuer versuchen zwar lautstark, aber größtenteils vergeblich, Ordnung in das Chaos zu bringen. Als die ersten dann auf der anderen Seite wieder festen Boden unter den Füßen haben, wage ich mich dann aber auch auf die wackelige Angelegenheit.
Die Brücke ist nichts für Leute mit Höhenangst, definitiv nicht. Abgesehen davon, dass sie auch ohne dass Pfadfinder sie dazu bringen, bei jedem Schritt schwankt, besteht der Boden aus Gitterrosten. Man kann also wunderbar jederzeit in den Abgrund schauen. Mir persönlich hat das nichts ausgemacht, aber sollte das für den einen oder die andere ein Problem darstellen, muss man entweder den regulären Weg über den Wasserfall gehen oder im Ort nach rechts einem Weg ein paar Meter bergan folgen und die Schleife komplett auszulassen.
Ich jedenfalls habe die richtige Entscheidung getroffen. Einerseits ist die Aussicht wirklich toll, andererseits weht hier eine schön steife Brise, die mich vergessen lässt, dass das Thermometer inzwischen wieder stark an der 30°C-Marke kratzt. Ich bleibe eine Weile stehen und genieße einfach nur.
Der Lechweg macht jetzt da weiter, wo er schon heute Morgen angefangen hat, er schlängelt sich nämlich weiter durch schöne ruhige Landschaft. Das Beste ist aber, dass es bisher keine Bremsen gibt! Ich schiebe zwischendurch noch zwei kleine Power-Päuschen ein, bei denen ich mich vorrangig in den Schatten flüchte.
Zwischendurch begegne ich immer wieder Wanderern, aber nicht allzu vielen. Zwei Grüppchen saßen gestern und heute beim Frühstück mit mir in der Stube, die scheinen auch den Lechweg zu wandern. Ansonsten sind das alles unbekannte Gesichter. Einige ziehen in meinen Pausen an mir vorbei und die meisten davon überhole ich früher oder später wieder, wenn sie selbst Pause machen. Offenbar haben hier fast alle das selbe Tempo.
Oberhalb von Stockach passiert man einen kleinen Pavillon namens “Schöne Aussicht”, auf den schon ein ganzes Stück vorher Wegweiser hingewiesen haben. So richtig schön ist die Aussicht nicht, was vor allem daran liegt, dass die Aussicht nicht wirklich aussichtig ist – die Bäume davor stören den Blick geringfügig. Aber zwei strahlend blaue Sonnenschirme unten im Ort machen das wett, dann das bedeutet mir , dass ich unverhofft doch die Chance auf einen Kaffee bekomme – und das mit nur einem ganz kurzen Umweg, denn der Lechweg lässt den Ort natürlich links – oder in dem Fall vielmehr rechts – liegen.
Oh wunder, Kaffee bekomme ich leider nicht. Denn selbst wenn das blaubeschrimte Restaurant keine Mittagspause hätte, hätte es geschlossen – Montag ist Ruhetag. Meine Enttäuschung hält sich allerdings in Grenzen, denn daneben steht zumindest ein Getränkeautomat, der Halbliterflaschen eines mehr oder weniger lokalen Herstellers feilbietet und so ziehe ich mir eine eiskalte Zitronenlimo. Ich gönn’ mir.
Gnadenlos
Bis hierher war es anfangs schön, danach erträglich und die letzte halbe Stunde wurde es wieder heiß, heiß, heiß. So ein paar vereinzelte Schönwetterwölkchen am Himmel schaffen es absolut nicht, dass die Sonne ein bisschen ihrer Wucht verliert. Aber wenigstens geht es bis nach Bach zum Großteil durch den Wald. Hier ist es schattig, aber die Luft steht und es wird wieder zunehmend drückend.
Nicht weit hinter Holzgau folgt der nächste ein netter Anstieg, während dem man an der Talstation der Jöchelspitzbahn vorbeikommt. Ich überlege, in die Bahn einzusteigen und nach oben zu fahren. Da ist es bestimmt deutlich kühler und es geht ein angenehmer Wind… Aber nein, dann das würde meinen Tag heute nur in die Länge ziehen und mich von meiner wohlverdienten Dusche und dem nachmittäglichen Nichtstun abhalten. Während ich so darüber nachdenke, bin ich eh schon weitergelaufen.
Knapp dahinter könnte ich zum Modertal-Wasserfall abbiegen, behaupten die Wegweiser. Da zögere ich nicht lange und ignoriere dieses vermutlich einmalige und hinreißend schöne Wunderwerk der Natur. Wasserfälle gibt’s direkt am Weg wahrlich genug, so viel schöner kann dieser hier gar nicht sein, dass ich mir bei der Hitze noch freiwillig Extrameter antue.
Nach Bach geht es recht steil hinunter. Scheinbar so steil, dass ich mit zu viel Schwung über die Lechbrücke gehe. Wahrscheinlicher ist aber, dass ich schlichtweg vor mich hingeträumt und den Wegweiser, der mich vor der Brücke nach links am Ufer entlang schicken möchte, übersehen habe.
…und ja, es geht im Grunde wirklich recht nett über einen Schotterweg fast direkt am Ufer entlang. Es ist nur schwierig, da es wieder einmal keinen Schatten gibt. Aber bis zum Etappenziel Elbigenalp sind es nur noch knappe drei Kilometer, das schaffe ich jetzt auch noch. Dieser Vorsatz wird aber auf eine harte Probe gestellt, als ich am Freibad vorbeikomme. Mit Wasserrutsche!!! Notiz an mich selbst: Für solche Gelegenheiten immer Badehose und Handtuch einpacken…
Kurzes Lowlight ist dann kurz vor Schluss ein Stück auf dem Fuß- bzw. Radweg parallel zur Straße. Der Fairness halber muss man aber sagen, dass es an dieser Stelle gar nicht anders möglich ist, denn abseits der Böschung fließt direkt der Lech. Es sind auch maximal 500, vielleicht 600 Meter, danach geht die Straße geradeaus weiter, während der Lechweg seinem Namensgeber nach rechts ab folgt. Trotzdem ist dieses Stück mit gefühlten zusätzlichen 50°C Ober- und Unterhitze versehen, denn der glatte Asphalt speichert und reflektiert die Wärme gleichermaßen gut. Mein Mantra an der Stelle ist “Schatten! Dusche! Bett!”
Offiziell endet die Etappe bei Elbigenalp direkt am Lech. Da ich zu meinem Hotel links in Richtung des Ortes abbiegen muss, gibt es dort also keine Beschilderung mehr und ich muss die Wanderkarte zu Rate ziehen. Eigentlich nicht schwer, aber an einer Y-Gabelung hätte ich besser links gehen sollen. Ich nehme die rechte Abzweigung und erlaufe mir damit 200 Extrameter.
Haltlos
Am Hotel entdecke ich zu meiner hellen Freude neben dem Eingang einen sprudelnden Brunnen. Bevor ich auch nur einen Schritt in Richtung Rezeption setze, halte ich meinen Kopf unter den nassen, kühlen Strahl. Ist! Das! Herrlich! Erst als ich mich dann kurz trockengelegt habe, geht es hinein.
Die Rezeptionistin meint zu mir “Da waren sie aber zügig unterwegs!” und ich schaue sie ein bisschen fragend an. Schließlich ist es kurz vor 15 Uhr und sechseinhalb Stunden für die 21 Kilometer kommen mir jetzt nicht besonders schnell vor. Vor allem da es ja keine Gelegenheit gab, bei einer langen Pause irgendwo zu versacken. Ich fand jetzt nicht, dass ich besonders schnell unterwegs war, obwohl ich natürlich nicht länger als unbedingt notwendig in der Hitze unterwegs sein sollte.
Als sie dann meint “Hinter dem Haus haben wir einen wunderbaren Badeteich” ist der kaum vorhandene Frust über den entgangenen Schwimmbad-Spaß direkt vergessen und ich plane meinen Nachmittag spontan um. Es dauert keine Viertelstunde, da springe ich in den Teich – und bleibe da auch fürs Erste. Ich gebe auch gerne zu, dass ich ganz kurz darüber nachgedacht habe, ob es wohl ok sei, in Badeklamotten zum Abendessen zu gehen 😇
Schöne Bilder, schön geschrieben, Stefan! Vielleicht sollte ich auch lieber nach der Reise schreiben. Aber irgendwie habe ich dann nie die Lust dazu. Die Brücke hätte mir sehr gefallen, genau das richtige Maß an Nervenkitzel!
Bist Du heute mit gespaltener Persönlichkeit unterwegs? 😉
Die Schwierigkeit dabei ist, sich dann Wochen/Monate später noch an alles so weit zu erinnern, damit sich auch etwas schreiben lässt… Aber die Bilder und mein Reisetagebuch helfen dabei, immerhin. Während der Reise selbst abends noch zu schreiben – abgesehen von Stichpunkten im Tagebuch – da fehlt bei mir die Lust zu. …und Internet ist ja auch nicht immer und überall ausreichend verfügbar.
Es gibt später in der Nähe des Lechwegs noch die “highline179” (https://www.highline179.tirol). Mit einem Umweg erreichbar – und es kostet 8€, um drüberzulaufen…
Schön geschrieben, Stefan!
Die Brücke hätte mit sehr gefallen – genau das richtige Maß an Nervenkitzel! 😄
Hallo Stefan, deinen Bericht habe ich wieder mit Interesse gelesen. Das Problem wie man von Holzgau zur Hängebrücke gelangt hatte ich auch. Ich bin von Holzgau nach links hoch zur Hängebrücke, dann über die Brücke und auf der anderen Seite weiter hoch zum Cafe Uta. Von dort aus bin ich nach einer kurzen Einkehr auf der anderen Seite runter an den Simser Wasserfällen vorbei – die ich unbedingt sehen wollte – und dann weiter runter unter der Hängebrücke durch. Das hatte zur Folge dass ich um wieder zum Originallechweg zu gelangen eine steilen Anstieg hinter mich bringen musste. Ich bin heute immer noch am Nachdenken, ob der Anblick der Simser Wassefälle diesen Umweg wert war. Allenfalls der köstliche Käsekuchen im Cafe Uta kann das etwas rechtfertigen.
In dem Hotel in Elbigenalp mit dem Badeteich habe ich dann einen Ruhteag verbracht.