Caminho Português Tag 11 (und 12) – Santia-Go!

16. September 2020 – Pontecesures nach Santiago de Compostela (27 km)

Ich bin gestern Abend in der Überzeugung eingeschlafen, dass es richtig ist, heute nach Santiago zu gehen und auch heute früh hat sich da nichts dran geändert. So soll und wird es also sein. Da ich keine große Lust darauf habe, erst bei meiner Ankunft nach einer Unterkunft Ausschau zu halten, reserviere ich noch bevor ich losziehe ein Zimmer. Richtig gelesen: Ein Zimmer. Gleich neben der Kathedrale und zu einem unschlagbar günstigen Preis. Da kann ich nicht nein sagen und gönne mir ein bisschen Luxus.

Von schön bis gruselig

Da ich auch heute wieder recht früh dran bin, starte ich wieder im Dunklen. Dass ich mich von der Herberge erst wieder durch die Baustelle mogeln muss, um zurück auf den Jakobsweg zu kommen, ist ohne Licht zwar ein bisschen mühselig, aber machbar.

Von Padrón bekomme nicht wirklich viel mit. Außerhalb des spärlichen Lichtscheins der Straßenlaternen ist einfach noch zu dunkel. Dass um die Uhrzeit die Kirche Santiago Apóstol schon geöffnet hat, damit ich mir das Kleinod anschauen könnte, kann ich mir natürlich auch abschminken. Einen Stempel gibt es aus Padrón damit also auch nicht.

Der Stimmung bei Sonnenaufgang ist dann gleich wieder etwas fürs Seelenheil. Ich finde es einfach total schön und entspannend, wenn ich draußen alleine bin, abgesehen von Vogelgezwitscher alles still ist und die aufgehende Sonne die Wolken anstrahlt und so langsam den Frühnebel verscheucht. Im Grunde sollte ich mich einfach irgendwo hinsetzen und das Spektakel genießen, aber die Zeit nehme ich mir dann doch nicht.

So richtig spannend ist der Weg heute aber generell nicht. Ab und zu geht es an einer recht stark befahrenen Ausfallstraße lang, dann wieder verschachtelt durch kleine Dörfer – und zwar derart verschachtelt, dass ich das Gefühl bekomme, hier alle Häuser von mindestens 3 Seiten zu sehen zu bekommen. Nicht, dass sich das lohnen würde…

Gegen 9 Uhr möchte ich dann doch endlich frühstücken. Bis dahin habe ich schon fast 10 Kilometer hinter mir, es läuft sich also auch heute wirklich prima. Was aber nicht läuft, was nicht einmal geht, ist das Frühstück, einfach gruselig. Der Kaffee ist noch einigermaßen ok, wenn auch recht klein. Der O-Saft kommt aus der Flasche. Der absolute Hit ist aber das Tostada – es besteht aus einer zu Tode gerösteten, knochentrockenen, etwa 2cm dicken Scheibe Graubrot Marke „Gaumenspalter“. Dazu gibt es tiefgefrorene Butter und abgepackte Marmelade. Der Hunger treibt’s rein, aber ansonsten nichts wie weg hier.

Roadrunner

Gleich gegenüber, ich muss nur zurück über die Straße und dabei aufpassen, dass ich von den Amateur-Formel-1-Fahrern hier nicht überfahren werde, steht eine nette Kirche, die ich mir anschaue. Innen hole ich mir nicht nur einen Stempel ab, sondern unterhalte ich mich auch noch ein Weilchen mit dem Herrn, der die Kirche betreut. Pilgern, Santiago und wie der Name der Kirche zustande kommt. Santuario de nuestra señora de esclavitud hat nämlich nichts mit einer versklavten Jungfrau zu tun, sondern damit, dass hier die Señora (also Maria) zum Dank dafür verehrt wird, dass jemand im 16. Jahrhundert von der „Sklaverei einer schweren Krankheit“ befreit wurde, eine Wunderheilung also.

Ich mache gerade kehrt und will aus der Kirche gehen, da laufen mit Luisa und „nennen wir ihn Juan“ über den Weg. Die beiden überholen mich nicht allzu viel später und ziehen zügig davon. Da mitzuhalten muss auch nicht sein, ich bleibe lieber in meinem Tempo – und alleine zu gehen finde ich heute auch ganz angenehm.

Nach etwa 15 Kilometern geht es endlich durch den Wald. Aber die Freude währt nicht lange, denn die nächste Straße wartet schon bald darauf auf kleine Pilger. Auch wenn es hier viel weniger Verkehr hat, als auf der Ausfallstraße vorhin, schön ist halt anders.

Die Krönung ist aber eine Autobahnunterführung. Dass man da irgendwie drüber oder drunter muss, um die Autobahn zu queren ist schon klar. Hier möchte ja niemand über die Fahrbahn rennen müssen. Aber warum muss es in Serpentinen so weit nach unten gehen, dass zwei Doppeldeckerbusse übereinander unter der Brücke durchpassen würden? Aber vor allem: Warum muss es auf der anderen Seite *ohne* Serpentinen steil nach oben gehen? Echt überflüssig wie ein Kropf, zumal es inzwischen wieder gut sonnig und warm geworden ist.

Endspurt? Zieleinlauf? Was eigentlich?

Ab hier geht es leider fast ausschließlich nur noch durch die grauen Vorstädte Santiagos. Auch wenn ich die laut meinem Pilgerführer nach schönere Alternativstrecke einschlage, so richtig schön ist das nicht. Es ist Zeit genug und vor allem ist es langweilig genug, sodass sich mein Kopfkino wieder hochfährt.

Mir gehen die Bilder von vor zwei Jahren durch den Kopf. Wie ich mich gefühlt habe, was ich gemacht habe. Und nun? Nix. Dahingehend bin ich irgendwie total emotionslos – und das irritiert mich enorm.

Als ich so langsam in Richtung Stadtzentrum komme und einzelne Ecken wiedererkenne, denke ich fast nur noch an damals. Neue Eindrücke schnappe ich nicht auf. ich werde ein bisschen sentimental, ja – aber nicht wegen heute, sondern eben wegen damals. Irgendwie spooky.

Mit ein Grund, dass ich den Português nicht schon längst gepilgert bin ist, dass ich befürchtet habe, zu sehr mit meinen Erfahrungen des Francés zu vergleichen. Nicht nur, dass inzwischen schon fast zwei Jahre seither vergangen sind und ich im Kopf fast vollkommen befreit von Sorgen und Problemen bin (an sich schon ein unglaublicher Luxus) – der Weg war bis hierher so wunderbar und ich habe so tolle Menschen getroffen, da verbietet sich jeder Vergleich von vorneherein. Warum fange ich also jetzt mit diesem sinnfreien Vergleichen an? Ich selbst finde das als Erklärung nicht wirklich stichhaltig, vielleicht müsste da ein Psychotherapeut tiefer graben, aber:
Im Grunde stelle ich nicht die verschiedenen Wege gegenüber. Auch nicht die Menschen oder Erlebnisse. Santiago ist da auch eher ein Symbol. Ich glaube, dass ich ganz einfach mich heute mit mir damals vergleiche.

Als ich auf der Praza do Obradoiro ankomme und die Kathedrale sehe, ist mein allererster Gedanke: Toll, Baustelle, eingerüstet. Aber immerhin laufe ich auch dieses Mal richtig schönem Wetter ein. Auch ohne tiefenpsychologischen Schwermut – im Gegenteil, ich habe eigentlich gute Laune – ist die Ankunft also alles andere als euphorisch. Es geht eher in die Richtung „Ok, jetzt bin ich da. Und nun?“

Ein Etappenziel wie jedes andere ist es aber dann offenbar wohl doch nicht. Denn ich sitze eine ganze Weile auf der Praza und schaue anderen Pilgern beim Ankommen zu. Es sind gar nicht Mal wenige, auf jeden fall deutlich mehr, als ich in Corona-Zeiten erwartet hätte. Viele sitzen oder liegen erschöpft hier und da auf dem Platz. Manche Grüppchen machen Spökes für die Kamera. Die meisten aber sind ganz ruhig und halten sich auch gar nicht so lange auf. Vielleicht liegt das ja auch an den Bauarbeiten? Das Gerüst und der Baulärm tragen nicht unbedingt dazu bei, dass es reihenweise zum Überschwang der Gefühle kommt.

Dass um die Ecke wieder eine Ziege gequä… – sorry – die Gaita gespielt wird, weckt zwar auch Erinnerungen, aber für mich persönlich hätte es das nicht unbedingt gebraucht. Zwar ist der Spieler dieses Jahr eine Spielerin, aber das macht das Gejaule nicht besser.

Auch dieses Mal ziehe ich mich in die Kirche St. Fructuoso zurück, kurz ein bisschen Ruhe genießen und eine Kerze anzünden. Diesmal hänge ich aber keinen schweren Gedanken nach, sondern genieße die Zeit und bemerke, wie hübsch die kleine Kirche eigentlich ist.

Ob ich mir meine Compostela abhole, mache ich davon abhängig, wie lang die Schlange vor dem Pilgerbüro ist. Die wichtigsten Daten müssen inzwischen vorab digital eingetragen werden, damit die Abfertigung am Schalter schneller geht. Man bekommt dann einen QR-Code, den man dann vor Ort einscannen kann und daraufhin eine Wartenummer bekommt. Alles recht effizient, aber halt auch ziemlich unpersönlich.

Meine Wartemarke hat die Nummer 130. Auf der Anzeigetafel wird aktuell die 124 aufgerufen. Also die paar Minuten kann ich nun wirklich warten. Außerdem würde ich mich später bestimmt ärgern, hätte ich mir keine Compostela geholt. Zwar ist mir das Dokument dieses Mal bei weitem nicht so wichtig, wie die Urkunde, die ich nach dem Camino Fancés ausgehändigt bekommen habe, aber auch das liegt an dem deutlich anderen Mindset, mit dem ich beim ersten Mal hier in Santiago angekommen bin. Trotzdem ist es ein wirklich nettes Andenken, auch wenn die Urkunde zu Hause wohl ebenfalls in der Schublade landen wird.

Die Dame am Schalter, an den ich gerufen werde, ist außerordentlich gut gelaunt und lacht mich an. Sie füllt mir die Compostela mit viel Schwung aus. Auf dem „Reichweitenzertifikat“ bekomme ich sogar einen kleinen Umwegbonus für den Wechsel von der Küste ins Landesinnere gutgeschrieben. Der Caminho Central hat offiziell nämlich nur rund 240 Kilometer. Auf meiner Urkunde stehen 260. Gekauft 😁. Zum Abschied gibt es noch ein strahlendes Lächeln, das wirklich ansteckend ist. Jetzt muss ich aber echt raus aus den verschwitzten Klamotten, daher trödele ich gar nicht lange rum, nachdem ich die Dokumente sicher im Rucksack verstaut habe.

Planungssicherheit

Ich bin gerade auf dem Weg zu meiner Unterkunft, da klingelt mein Handy – Jann ruft an. Wann ich denn nach Finisterra starten würde? Er und Melina kämen nämlich morgen in Santiago an und würden übermorgen starten.

Da brauche ich gar nicht lange zu überlegen und entscheide mich, morgen einen Pausentag einzulegen – angedacht war der eh, aber jetzt habe ich ja sogar einen guten Grund dafür. Die Aussicht, nicht alleine weiterzupilgern ist an sich schon verlockend genug. Dass meine rechte Achillessehne heute ein bisschen zickt und einen Tag Pause sicher auch nicht verkehrt fände, ist da ein zusätzliches Add-On. Schon erstaunlich, dass ich bisher absolut nullkommanull Probleme mit Beinen und Füßen hatte.

Mein Zimmerchen noch für eine zweite Nacht zu buchen, ist erfreulicherweise gar kein Problem. In diesen Zeiten gibt es in der Stadt mehr als genug freie Zimmer, da sind sie glaube ich ziemlich froh über jeden Gast. Morgen gibt es also einen Faulenzertag. Ausschlafen, rumdümpeln, abhängen. Kann mir schlimmeres vorstellen. Meine Laune bessert sich zusehends.

Viel aktiver werde ich heute aber auch nicht mehr. Duschen, auf dem Bett rumgammeln und die Wäsche machen – also ein wirklich anspruchsloses restliches Tagesprogramm. Aber es ist entspannend und entspannt.

Abends gönne ich mir ein wirklich gutes Pilgermenu, zu dem ich mir noch eine kleine Portion Pimientos bestelle. „Klein“ heißt hier aber nur, dass kein LKW für die Anlieferung notwendig ist. Es kommt bei mir selten vor, aber ich habe keine Chance, die Portion zu schaffen. Die kleinen Dinger sind aber viel zu lecker, um sie stehen zu lassen, daher lasse ich sie mir einpacken und habe damit für morgen noch ein paar Leckerli.

Mein Zimmer ist zwar im Vergleich zu einer Pilgerherberge sehr luxuriös, aber einen Fernseher gibt es nicht. Wobei ich vermutlich sowieso nur sinnfrei hin und her zappen würde. Von daher schreibe ich wieder einmal nur gemütlich mein Tagebuch, höre Musik und döse irgendwann ein.


17. September 2020 – Pausentag in Santiago

Mein Wecker klingelt. Draußen ist es noch stockdunkel und ich ranze mein plärrendes Handy an „Ich habe keinen Bock, zu laufen!“ Nachdem ich das dritte Mal auf die Schlummertaste gedrückt habe, fällt mir ein: Hey, heute ist doch Pause, ich muss ja heute gar nicht!

Dass es um 8 Uhr überhaupt noch dunkel draußen ist, liegt unter anderem wohl daran, dass es ordentlich regnet. Hätte ich heute nicht „frei“ würde ich mich wohl ziemlich darüber aufregen, dass meine Sachen, die ich zum Lüften aus dem Fenster gehangen habe, jetzt klatschnass sind. Aber so juckt mich das gerade gar nicht. Ätsch, Galicien! Ausgetrickst! Ich hole den Kram rein, drapiere ihn im Bad und gehe erstmal in Ruhe frühstücken. Weil es doch ein bisschen frisch ist, ist heute Premierentag für meine lange Garnitur. Habe ich den Kram wenigstens nicht umsonst mitgeschleppt.

Müßiggang

Ich möchte mir heute das Museum der Kathedrale anschauen. Aber dafür bin ich noch zu früh dran. Also spaziere ich ein wenig durch die Altstadt und kaufe mir an den Markthallen noch was Süßes. Inzwischen hat es auch aufgehört zu regnen und der Himmel reißt so langsam auf und zeigt strahlendes blau. Mir könnte es nun wirklich schlechter gehen.

Um kurz vor 10 schlendere ich dann zur Praza. Da wird heute irgendetwas für irgendein Event aufgebaut und die Mitte des Platzes ist komplett abgesperrt. Na, zusammen mit der Baustelle wird das ja dann heute echt toll für Jann und Melina. Jann kennt das alles ja auch schon von seinem Francés, aber für Melina tut es mir Leid, sie kommt heute zum ersten Mal nach Santiago.

Für das Museum ist es immer noch zu früh, also gehe ich dann doch noch in die Kathedrale. Ich weiß, dass sie innen zur Zeit fast komplett renoviert wird, aber wenn ich schonmal hier bin… Bis auf einen kleinen Bereich im Langschiff, in dem auf das Hauptportal ausgerichtet ein provisorischer Altar aufgebaut ist, vor dem einige Stühle stehen, ist das Gebäude leergefegt. Sieht man von den vielen Gerüsten ab, natürlich. Aber wenigstens ist eine der schönen Kapellen im Chorumlauf zugänglich. Die wiederum waren vor zwei Jahren aufgrund der Renovierung gesperrt. So sehe ich dann doch noch etwas Neues.

Jacobus umarmen geht auch nicht, da der komplette Hochaltar abgesperrt und eingerüstet ist. Aber wenigstens kann ich runter in die Krypta, so kann ich ihm persönlich wenigstens noch zuwinken. Der Botafumeiro fliegt – wie auch – natürlich auch nicht.

Ich lege hier und jetzt ein Gelübde ab:
Solange ich den Botafumeiro nicht habe fliegen sehen, werde ich wiederkommen!

Anschließend ist endlich das Museum geöffnet. Der Eintritt ist fast schon frech und dass der Zugang zum Pórtico de la Gloria noch einmal extra kostet, ist auf jeden Fall frech. Aber letztlich fließt das Geld hoffentlich (auch) in den Topf zur Finanzierung der Restaurationsarbeiten, da kann ich dann einigermaßen gut mit leben.

Das Museum ist wirklich ok. Abgesehen von den Ausstellungsstücken finde ich es fast noch beeindruckender, was es alles an Räumlichkeiten neben der eigentlichen Kirche gibt. Unter anderem geht es auch auf den Balkon der Westfassade – von hier hat man einen tollen Blick auf die Praza do Obradoiro aus einer völlig anderen Perspektive. Zwar erschließt sich mir immer noch nicht, was da eigentlich aufgebaut wird, aber von hier oben kann man auch schön die Bauarbeiten an der großen Freitreppe beobachten und den Steinmetzen bei der Arbeit zuschauen.

Zum Pórtico de la Gloria wird der Zugang streng begrenzt. Es dürfen sich maximal 20 Personen gleichzeitig dort aufhalten und nach einer Viertelstunde (oder war es eine halbe Stunde – sorry, vergessen) muss man wieder raus. Fotos darf man dort leider nicht machen. Dafür ist im Eintrittspreis immerhin ein Audio-Guide inklusive, der einem die Details dieses Kunstwerkes näherbringt – und Details gibt es mehr als genug. Zu jeder Figurengruppe gibt es eine 2-3 minütige Erklärung, was und wen sie darstellt und was Meister Mateo sich dabei gedacht hat. Auch wenn es Geld kostet – es lohnt sich.

Ich führe ein uraltes Pilgerritual durch, nämlich die Hand an die Wurzel Jesse an der zentralen Säule des Pórtico zu legen und damit das Ende der Pilgerreise zu besiegeln. An der Stelle haben sich abertausende Finger inzwischen tief in den Stein gegraben. Ehrlich – ich wusste nicht, dass das inzwischen (seit etwa 2008, ähem… 😇) verboten ist, auch wenn ich es mir hätte denken können. Aber nun gut, den kleinen Anschiss der Aufseherin nehme ich gelassen hin. Sollen sie’s halt dranschreiben, meine Güte. Ich stehe also quasi als einer der letzten dieser Jahrhunderte alten Pilgertradition.

Empfangskomitee

Per WhatsApp wird mir die freudige Ankunft von Jann und Melina gegen 13 Uhr in Aussicht gestellt. Ich sitze schon eine ganze Weile vorher auf dem Platz vor der Kathedrale in der Sonne, beobachte die Leute und höre Musik. Ich sehe die beiden schon von weitem und laufe ihnen entgegen. Ob des Zustands von Kathedrale und Platz meint Jann auch gleich, so dass Melina es nicht mitbekommt: „Das ist doch Kacke!“ und er hat ja auch völlig recht. Melinas Augen glänzen trotzdem – und das ist doch alles, was zählt, oder?

Ich begleite die beiden im Anschluss noch zum Pilgerbüro. Heute ist da ordentlich Andrang und sie müssen eine gute halbe Stunde warten, ehe sie an der Reihe sind. Derweil sitze ich in der Sonne und genieße das Nichtstun.

Als erstes kommt Melina aus dem Pilgerbüro, schaut traurig aus der Wäsche und sagt entrüstet „Die haben meinen Namen falsch geschrieben! Da, guck! Mit M am Ende!“ Es tut mir ja echt leid, aber ich kann nicht anders, als schallend loszulachen. Als ich wieder ohne zu japsen Luft holen kann, erkläre ich ihr, dass das schon so seine Richtigkeit hat, im Lateinischen ist das so. Selbst wenn ich klugscheißen wollte, könnte ich es nicht – Latein war in der Schule mein absolutes Hassfach. Da steckt halt irgendwo, irgendwie ein AcI drin, den habe ich eh nie richtig verstanden…

Auf den Schreck hin lassen wir uns gleich nebenan in der erstbesten Bar nieder und genießen das wahrscheinlich teuerste Bier Santiagos. Aber das muss jetzt einfach sein. Weil’s so schön ist, auch gleich noch ein zweites hinterher. Wir suchen uns direkt auch noch ein Restaurant, in dem wir heute Abend zusammen essen wollen. Unsere Wahl fällt auf einen Laden, der nicht nur gut bewertet ist, sondern auch so ziemlich auf halber Strecke zwischen unseren Unterkünften liegt. Außerdem gibt es da Pulpo – und den will ich dann doch endlich Mal probieren. Ob es da auch Janns heißgeliebten und heißbegehrten „Tittenkäse“‚ (Ja, der heißt wirklich so, naja… fast) gibt, können wir aber nicht sagen.

Ausklang

Für Jann und mich geht es morgen früh auf die erste Etappe nach Finisterra. Allerdings peile ich Negreira als Etappenziel an, während Jann gerne 30km oder mehr gehen würde. Er möchte auch in drei Tagen am Ziel sein, mir reicht es, wenn ich gemütlich in vier Tagen ankomme. Melina bleibt morgen noch in Santiago und schaut sich ein wenig die Stadt an. Nach Finisterra fährt sie dann mit dem Bus. Ihren Füßen geht es zwar besser, aber noch nicht so gut, dass sie vernünftig längere Strecken mit Gepäck gehen könnte.

Die beiden machen sich nach einer Weile auf den Weg in ihre Unterkunft, während ich noch eine Runde durch die Stadt gehe, bevor ich mich in meinem Zimmerchen auch noch ein Stündchen aufs Ohr haue.

Gut, dass ich mir den Wecker gestellt habe, ich hätte nämlich sonst gnadenlos das Abendessen verpennt. Da sich Galicien draußen ordentlich ausheult, bewaffne ich mich mit meiner Regenjacke und mache mich auf ins Restaurant. Ich stehe gerade davor, als der Himmel komplett seine Schleusen öffnet – es schüttet und hagelt und binnen Sekunden stehen die Straßen knöcheltief unter Wasser.

Melina und Jann lassen auf sich warten. Ich kann mich nicht einmal erkundigen, wo sie denn bleiben, denn mein Handy hat hier in der Ecke keinerlei Netz. Aber gut, die werden schon nicht ertrunken sein. Als sie dann endlich auftauchen, habe ich mich schon entschieden, mich reinzusetzen und zumindest etwas zu trinken zu bestellen. Ihre Ausrede, sie hätten halt nicht schneller hierher rudern können, geht gerade noch so in Ordnung. Das nächste Mal halt mit Motorboot.

Ein großer Teller Caldo Gallego als Vorspeise und ich bin schon zufrieden. Mehr bräuchte ich eigentlich gar nicht. Nicht nur für mich ist dann Pulpo-Premiere, sondern auch für Melina. Nach „galicischer Art“ gewürzt, d.h Oktopus und Knoblauch etwa im Verhältnis 1:1, ordentlich Paprikapulver drüber und in Öl schwimmend. Meins ist es nicht, und das liegt nicht nur an den Gewürzen. Es schmeckt nicht schlecht, ja. Aber öfter brauche ich das nicht. Es bleibt dabei, dass ich nicht unbedingt ein Fan von Meeresfrüchten bin. Nachtisch für Jann? Klar – Tittenkäse!

Als wir nach einem schönen Abend aufbrechen, verabschiede ich mich vorerst von Melina. Sie wird morgen wohl kaum so früh auf den Beinen sein, dass ich sie noch einmal sehen würde. Aber da sie und Jann auf jeden Fall zwei Tage in Finisterra bleiben wollen, sehe ich sie wahrscheinlich dort noch einmal wieder.

Jann und ich jedenfalls verabreden uns für morgen früh 8 Uhr auf der Praza vor der Kathedrale. Dann geht es für mich endlich los, meinem eigentlichen Ziel entgegen. Ich habe genau so viel Vorfreude, wie vor dem Ersten Pilgertag in Porto!

8 Gedanken zu “Caminho Português Tag 11 (und 12) – Santia-Go!

  1. Bin schon gespannt, wie es Dir auf der Strecke von Santiago nach Finisterre (oder noch weiter nach Murxia?) ergangen ist, lieber Stefan! Das ist nämlich genau der Weg, den auch ich nächsten September laufen will – nachdem ich bereits 3 x in Santiago angekommen bin und aus Zeitgründen immer nur den Bus nach Finisterre genommen habe…

    Bon Camino, lass es Dir weiterhin gutgehen! Mit herzlichen Grüßen

    Grit

    1. Liebe Grit,

      weiter ans Ende der Welt geht es gleich in den kommenden Tagen – und es wird richtig toll werden.

      Bei meiner ersten Ankunft in Santiago bin ich weder dorthin gegangen, noch gefahren, es hätte – unter anderem – auch zeitlich nicht mehr gepasst. Ohne zu viel Verraten zu wollen: Es lohnt sich!

      Viele Grüße
      Stefan

    1. Du hast absolut recht. Ich habe aber ja von Anfang an kein Geheimnis daraus gemacht, dass mein Ziel für diesen Jakobsweg ein anderes ist. Das, was ich in Santiago bei meiner ersten Ankunft gefühlt habe, ließ und lässt sich nicht wiederholen – aber das war auch nicht mein Anspruch.

      Insofern ja, ich bin angekommen, aber eben nicht ANgekommen.

      Grüße
      Stefan

    1. Die gab es – von der normalen Speisekarte – in der von vielen verschmähten Casa Manolo.

      Ich finde den Laden prima, was sicherlich auch daran liegen mag, dass ich beide Male, bei denen ich dort essen war, Glück hatte und es recht leer war. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass dort zu Pilger-Stoßzeiten im Sommer (zu) viel los ist.

      Auf dem Bild fehlen auch schon ein paar Pimientos, ich konnte nicht an mich halten 😊

  2. Audrey im Wanderland – Bloggerin bei Audrey im Wanderland, meinem Fernwanderblog, auf dem ich fast 2.500 erwanderte Kilometer Etappe für Etappe zum Leben erwecke. Nach dem „Prinzip Lindenstraßen“ gibt es jeden Sonntag einen neuen Tagesbericht zum Nachlesen.
    Audrey im Wanderland

    Ich verstehe dein Santiago-Gefühl total. Mir erging es ähnlich. Ich hing in Gedanken beim ersten Mal und fand es beruhigend, dass es eine Zwischenstation war.
    Dein Satz, dass du so lange wiederkehrst, bis der Botafumeiro fliegt, lautet bei mir bis die Kirche nicht mehr eingerüstet ist. Ich staune immer, wenn der Vorderteil frei liegt. Kenne ich nur mit blauem Zeug. Dafür hatte ich das Glück, bei beiden Ankünften das Fass fliegen zu sehen und beide Male hart emotional zu werden. Ich wünsche dir also von Herzen, dass du diesen besonderen Moment einst teilen wirst!

    1. Ich komme momentan zu nix – entschuldige bitte die späte Antwort.

      Ganz ohne Gerüst an der Hauptfassade hatte ich die Kathedrale ja in 2018 erlebt. Aber jetzt sind die Freitreppe und der Bereich mit der Unterführung links (da, wo das Dudelsackgedudel immer herkommt) verkleidet. Immerhin konnte ich damals eine Pilgermesse miterleben, auch wenn innen auch schon Teile eingerüstet waren und ich ohne Botafumeiro auskommen musste.

      Solange es der Kathedrale nicht wie dem Kölner Dom geht, den ich zu Lebzeiten wohl nicht mehr ohne Gerüst erleben werde (zumindest gehen deren Planungen aktuell bis 2050…), haben wir beide denke ich gute Aussichten, unseren Wunsch erfüllt zu bekommen 😊

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